Bettina Maier widmet sich der Herstellung, Veredelung und Restaurierung von „Drucksachen“. Das Handwerk vereint Kreativität, Geschick, ästhetisches Empfinden und technisches Verständnis. Leider mangelt‘s an Nachwuchs.

Fotos: Andreas Jacob

Vielleicht will es der Herrgott ja nicht akzeptieren, dass sich Bettina Maier als Agnostikerin bezeichnet? Jedenfalls klopft beziehungsweise lässt er immer wieder an ihre Pforte klopfen, um die Dienste der Rosenheimer Buchbindermeisterin in Anspruch zu nehmen. Einmal hatte sie zum Beispiel ein Fotoalbum für den Ende 2022 verstorbenen Papst Benedikt XVI. unter ihren Fittichen, in Auftrag gegeben von Abgesandten der bayerischen Gebirgsschützen. Immerhin war Joseph Alois Ratzinger lange Jahre Ehrenmitglied der Tegernseer Kompanie. Oder erst dieser Tage, da hat ein Schwung Ministrant*innen ein, so Maier, „ganz süßes Buch“ vorbeigebracht. Für den die Gemeinde verlassenden Pfarrer haben die Buben und Mädchen ein Evangeliar zusammengestellt, also ein liturgisches Buch, das die Texte der vier Evangelien enthält – in diesem Fall handgeschrieben und mit Zeichnungen versehen. Wenn der Seelsorger künftig die Messe liest, kann er sich an seine ehemaligen Schützlinge erinnern.

Statt Blattgold heute Folienprägung

Maier wird die Seiten binden (mittels Klebebindung), in einem würdevoll roten Einband verstauen und diesen mit goldenen Lettern prägen. Wenn auch nicht wie anno dazumal mit Blattgold, sondern in der zeitgemäßen (weil günstigeren) Variante per Folienprägung. Der notwendige Prägnant, also das handbetriebene Titeldruckgerät für Maiers unzählige Blei- und Messingtypen (wie man die Buchstaben im Fachjargon nennt) mit seinem elektrisch beheizbaren Schriftkasten steht im Nebenraum, doch dazu später. Fürs Erste fassen die genannten schon einige der häufigsten Handgriffe der erfahrenen Buchbindermeisterin zusammen. Und sie zeigen gut, worauf sich Maier spezialisiert hat: auf Einzelstücke, Kleinserien und Reparaturen. Achja, und weil Gott offensichtlich Humor besitzt (so es ihn gibt), hat er Bettina Maier mitsamt Werkstatt nach dem letzten Umzug aus der Nähe des Friedhofs mitten ins Herz der Stadt geleitet – in die ehemaligen Räumlichkeiten einer Glaubensgemeinschaft.

Nur noch drei Buchbindermeister*innen östlich von München

Handbinde-Werkstätten wie die Buchbinderei Pappenstil lassen sich im Raum zwischen München und Salzburg heutzutage an einer Hand abzählen. Das spiegelt einerseits jene fatale Entwicklung hin zur flächendeckenden Akademisierung gerade der jüngeren Generationen wider, andererseits wohl auch eine verlorengegangene Wertschätzung gegenüber Qualität und Langlebigkeit. Machen wir uns nichts vor: Wir sind eine Wegwerfgesellschaft. Wir kaufen gern spontan und billig – und wenn der Krempel nach kürzester Zeit kaputt ist, holen wir uns halt den nächsten. Bettina Maier tut es nicht sichtbar nach außen hin, aber man spürt förmlich, wie sie innerlich schnaubt, wenn sie so ein windiges, industriell gefertigtes Buch in die Hand bekommt (und ihm am besten ein zweites Leben einhauchen soll). Allein diese labberigen Buchrücken! 

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Die Gaze, die Maier als Hinterklebematerial bei Klebebindungen benutzt (ein appretiertes, weitmaschiges Gewebe), ist dreifädig und erweist sich als äußerst reißfest. Mindestens zwei Lagen verleimt die Rosenheimerin pro im Entstehen begriffenen Buch. Beim Auftragen von Leim und Gaze klemmt der Buchblock in einer dankenswerterweise vom Gatten gebauten Holzpresse. Marke Eigenbau musste es sein, weil die Natur sich offenbar dachte: Investieren wir bei dieser Frau mehr in den Verstand, weniger in die Körpergröße. Doch zurück zum Rückgrat: Industriell gefertige Bücher beinhalten – wenn überhaupt – eine einzige Lage einer einfädigen Gaze oder bestehen sogar oftmals nur aus Papier. Wie soll das einen Strandurlaub lang halten?

Stabilität ist gefragt

„Wir Hand-Buchbindermeister arbeiten grundsätzlich auf Stabilität“, sagt Maier, und das offenbart sich bei jedem Arbeitsschritt, bei jedem Stück Papier, Pappe oder Stoff bis hin zum eigenhändig angerührten Leim. Warum sie sich diese Mühe macht? Nun, weil die Menschheit seit tausenden von Jahren mit klassischem Kleister aus Weizenstärke oder Heißleim aus Gelatineperlen arbeitet. „Wir wissen, wie der altert, wir wissen, wie wir den rückstandslos entfernen können.“ Dispersionsleim existiere erst seit ein paar Jahrzehnten. Niemand könne abschätzen, was der mit Büchern auf Dauer anstellt. Lösen lasse er sich jedenfalls nicht komplett. „Das tue ich einem jahrhundertealten Buch doch nicht an!“ 

Finger weg von Tesa!

Wenn wir schon dabei sind: Um zu demonstrieren, was man Büchern bitte ebenfalls nicht antun möge, nimmt sie einen ihr anvertrauten, abgegriffenen Diercke Weltatlas aus den 1960er Jahren zur Hand. Darin schlägt eine ältere Dame bis heute nach, wenn sie im Fernsehen von fernen Ländern hört. Maier reißt ein paar Streifen Tesafilm herunter. Die sollten das vom Zerfall bedrohte Lexikon zusammenhalten. Wie Amateure halt glauben, ein Buch am Leben erhalten zu können. Das Problem an dieser Herangehensweise: Der Murks hält nicht lange, hinterlässt dafür buchstäblich eine Schneise der Verwüstung, wenn man ihn wieder abmachen will.

Papier, behauptet der Volksmund, sei geduldig. Kund*innen, weiß Bettina Maier, sind das eher nicht. Dabei lohnt sich Geduld, in diesem Metier. Drei Tage muss man einrechnen, ehe man sein Buch mit nach Hause nehmen kann – ein Umstand, den sich insbe-sondere Student*innen hinter die Ohren schreiben sollten… Sieht man Maier zu, wie sie aus ein paar Lagen Fachzeitschriften mit Nadel und Faden binnen einer halben Stunde ein Jahrbuch zusammennäht, ahnt man: An ihr kanns nicht liegen. Auch den Sei-tenzuschnitt bzw. die fast schon chirurgisch anmutende Extrahierung eines veralteten Buchrückens erledigt sie – ritschratsch – in Sekundenschnelle.

Rarität und Antiquität – dennoch zuverlässig im Einsatz ist die alte Schneidemaschine.

Die aus Wien stammende Schneidemaschine ist eine Antiquität, ein Pendant des schönen Stücks steht im Deutschen Museum. (Falls die Berufsgenossenschaft mitliest: Azubi Georg, den Maier liebevoll Schorschi nennt, hält sich brav fern von diesem rasiermesserscharfen Ungetüm!) Ein weiteres monströses Schneidegerät thront keine zwei Meter weiter, direkt vor den Regalen voller Stoff und Pappe. Neben der Geduld schreibt man Papier ja gerne auch Leichtigkeit zu. Pustekuchen! Über zwei Tonnen bringt der Papiervorrat auf die Waage. Dagegen geht die 600 Kilo schwere Pappschere ja direkt als Leichtgewicht durch. „Mein Leib- und Magengerät“ nennt Maier das riesige Teil mit den beiden meterlangen Scherenblättern. Rein technisch handelt es sich um eine Schlagschere, wie sie auch Metallbauer benutzen. Diese hier könnte durchaus Blech schneiden, die zierliche Frau mit
den kraftvollen Armen rückt damit aber lediglich Pappkartons, Papierstößen und Stoffen zuleibe. Leinen und Leder kennt man als attraktive Überzüge für Buchdeckel. Maier mag aber auch Dirndlstoffe, der hübschen Muster wegen.

Noch einer mit Papier: der Papierretter

Abgesehen von jenen beiden imposanten Schneidemaschinen erweist sich das Handwerkszeug der Buchbindermeisterin eher als kleinteilig. „Das passt in einen Schuhkarton“, sagt sie und grinst. Tatsächlich: Das Falzbein hat Form und Größe einer Nagelfeile, ist lediglich ein wenig breiter und besteht – daher der altertümliche Begriff Bein – aus Rinder- oder Walknochen. Es dient dazu, Papier und Karton akurat zu falten (wobei ein sogenannter Falz entsteht) und die entsprechenden Stellen schön glatt zu reiben. Die Ahle ist nichts anderes als ein handtellerkleiner Griff, aus dem ein spitzes Metallstäbchen von der Länge eines Bleistifts ragt. Zweck: Die Löchlein fürs Nähen beim Fadenheften bohren. Mit einem Pinsel trägt Maier den Kleister auf („immer sternförmig von innen nach außen!“), und mit dem Hozhammer rundet sie dicke „Buchblöcke“ (also die rohen, vernähten oder klebegebundenen Packen Papier) ab. Mit Verlaub, was dauert nun so lange bei diesem ganzen Prozedere? So profan wie notwendig: das Warten. Der mehrmals zum Einsatz kommende Leim muss ordentlich trocknen, das dauert halt jeweils ein paar Stunden.

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Vor 20 Jahren hat Bettina Maier ihre erste, eigene Werkstatt eröffnet. Selbständig hatte sie sich schon zuvor gemacht, jedoch von Zuhause aus gearbeitet. Mit wachsendem Erfolg (und parallel wachsendem Materialbedarf) wurde das bald zu eng. Dreimal ist sie seither umgezogen, jedes Mal wuchsen die Räumlichkeiten. Geeignete zu finden, ist gar nicht so leicht. Abgesehen von horrenden Mieten, spielt dabei wieder das Gewicht eine Rolle. Ein Blick hinüber, in den bereits erwähnten Nebenraum. Eine etwas dämmrige Kammer, mit ultrahoher Decke, an der zwar etliche Lampen befestigt sind, von denen tragen aber nur mehr zwei funktionierende Röhren.

Herzstücke des Raumes sind die beiden Holzschränke, die aus dem Bestand einer inzwischen geschlossenen Druckerei stammen. Darin bewahrt Maier ihre Bleischriften auf, über 80 verschiedene Typen. Ein stolzer Bestand. So winzig jeder einzelne der aus hölzernen Setzkästen herauslugenden Buchstaben auch sein mag, gemeinsam sind sie schwer. Zweieinhalb Tonnen wiegt ein Schrank. Glücklicherweise ist dieser Raum nicht unterkellert. Hier bekommen die Bücher ihre Prägungen. Wer will schon ein nacktes Buch? Als nächstes steht das Evangeliar auf der Agenda. Bettina Maier bestückt den Setzkasten der Titelprägepresse, lässt das Gerät heißlaufen und legt die goldene Folie bereit. Und von oben guckt der liebe Gott in freudiger Erwartung zu. Oder auch nicht…

Kontakt und Infos: Buchbinderei Pappenstil

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