Viel zu schad‘ zum Wegschmeißen sei das hochwertige Papier, das in den Druckereien übrigbleibe. Stefan Böhm schenkt ihm ein zweites Leben.

Fotos: Andreas Jacob, Susanne Böllert, Gmund Papier

„Zwei bis fünf Tonnen Restpapier fallen im Jahr pro Druckerei an“, schätzt Stefan Böhm. „Bei etwa 6.000 Druckereien in Deutschland sind das Unmengen an hochwertigem, einwandfreiem Papier, das unbenutzt dem Recycling zugeführt wird.“ Böhm schüttelt einigermaßen fassungslos den Kopf. Zumal für das Recyclen erneut große Mengen an Energie und Wasser benötigt werden. Der 54-jährige gelernte Retoucheur und Produktioner aus dem kleinen Ort Riegsee in der Nähe von Murnau hat eine Initiative ins Leben gerufen, die dieser Papierverschwendung Einhalt gebieten will.

Als „Papierretter“ hat Böhm die Rolle eines Vermittlers zwischen Druckereien in Deutschland und umweltbewussten Auftraggebern übernommen, darunter der Markt sowie die Tourist Info Murnau und das BMW Golfsport Team sowie diverse Kooperationspartner wie die Bergwacht Bad Tölz und das Münchner Kulturprojekt Bahnwärter Thiel.

Auch Recycling von Papier sehr energieaufwendig

„Die Druckereien bleibe immer dann auf Papierüberschüssen sitzen, wenn Auflagen verkleinert oder Seitenumfänge verringert werden“, erläutert der gebürtige Mittelfranke. Die Betriebe selbst fänden aber kaum Zeit, sich über die vielen Paletten Restpapier und ihre sinnvolle Verwertung Gedanken zu machen. „Außerdem sind die Prozesse in der Druckindustrie dermaßen standardisiert, dass es einfacher und günstiger ist, neues Papier zu bestellen und überschüssiges zu recyclen“, so Stefan. Schließlich seien Qualität, Farbe, Grammatur, Dicke, Laufrichtung, Oberfläche und Format der Papierbögen stets unterschiedlich, was eine Zweitverwertung häufig erschwere.

Laut Bundesverband Druck und Medien werden in der Tat 84 Prozent der grafischen Papiere in Deutschland recycelt und dem Papierkreislauf bis zu sieben Mal wieder zugeführt. Was auf den ersten Blick gut klingt, ist dennoch nicht ganz unproblematisch: So werden für ein Kilo neues Kopierpapier aus Primärfasern circa 50 Liter Wasser und etwa fünf Kilowattstunden Energie verbraucht. Für dieselbe Menge Recyclingpapier fallen immerhin noch die Hälfte an Energie und ein Drittel der Wassermenge an, wie das Bundesumweltamt vorrechnet.

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Hauptberuf: Grafiker in Münchener Werbeagentur

Stefan Böhm, der mit seiner Familie die umgebaute Tenne eines alten Bauernhauses bewohnt und hauptberuflich als Grafiker in einer Münchner Werbeagentur arbeitet, hält ein etwa Din A5 großes Notizbuch in Händen. Auf dem Cover prangt ein Krake sowie die Aufschrift „Save the oceans“. Im Inneren geht es bunt durcheinander, kein Blatt gleicht dem anderen, was aber kein Manko, sondern ein Alleinstellungsmerkmal ist.

„Diese Notizblöcke waren der Startschuss für die Initiative“, sagt Böhm mit väterlichem Stolz. Immerhin ist Tochter Emelie die Initiatorin. Für ein Montessori-Schulprojekt zum Thema „bedrohte Meerestiere“ hat die Jugendliche die Save-The-Oceans-Blöcke entworfen und sie im Letterpress-Verfahren aus Restpapieren der Münchner Druckerei „Werkstatt Höflich“ hergestellt. Später prämierte die Büttenpapierfabrik Gmund Emelies Projekt im Wettbewerb „Bester Naturpreisdrucker“ mit dem eigens für sie geschaffenen Sonderpreis Jugend – und schenkte ihr eine Palette bestes Gmunder Papier. So ausgestattet nahm die Initiative „Papierretter“ ihren Lauf. 

Papierretter hat Boston Tiegelpresse im Bauernhaus

Inzwischen hat sich Vater Stefan sogar eine echte Boston Tiegelpresse in den Anbau des Bauernhauses gestellt, mit der er derzeit testweise feinstes Luftpostpapier aus einer Druckereiauflösung bedruckt. Das Experimentieren mit den Papieren, die aus den unterschiedlichsten Druckereien, ja sogar aus Italien ihren Weg zum Papierretter finden und sich bei den Böhms zuhause sowie in der Münchner Agentur stapeln, passt zu dem 54-Jährigen. Denn der hat in seiner beruflichen und privaten Laufbahn schon diverse Stationen durchlaufen.

Von Roth bei Nürnberg über Budapest und München ging’s erst nach Habach im Landkreis Weilheim-Schongau und vor sieben Jahren nach Riegsee, als sich die Chance bot, mit Frau Katja und den Kindern Peter und Emelie in die renovierte Tenne mit Seeblick zu ziehen. „Zu Beginn meiner Berufstätigkeit als Retoucher, was sich am ehesten mit dem heutigen Medieendesigner vergleichen lässt, war ich sozusagen Photoshop“, scherzt Böhm. Phasen als angestellter und selbstständiger Produktioner wechselten sich ab, bis Stefan sich mit zwei Freunden als Kneipenwirt des Valentinsstüberls im Dreimühlenviertel versuchte. Da aber das Nachtleben mit dem Familienalltag kollidierte, kehrte Böhm dann doch zurück zu einer Tagesbeschäftigung als Grafiker.

Bei jedem Webshop-Kauf Spende an Sea-Sheperd

Die Schreibblöcke mit ihren fünf marinen Covermotiven vom Seepferdchen über die Meeresschildkröte bis zum Wal gehören übrigens bis heute zu den beliebtesten Artikeln im Papierretter- Webshop. Sie kosten 18,90 Euro inklusive Versand und einer Spende von fünf Euro an Sea Sheperd. Böhms selbst machen mit den ansprechenden Skizzenheften, Notiz- und Schreibblöcken aus gerettetem Papier kein Geschäft. „Aber das ist auch nicht der Gedanke dahinter“, sagt Stefan, für den Umweltschutz als vegetarischer Bahn-Pendler, der nie fliegt und selten heizt, ein Ganztagsjob ist.

„Meine Vision ist, noch viel mehr Druckereien und Buchbindereien zu offiziellen Papierretter-Partnern zu machen und sie davon zu überzeugen, aus ihren Überschüssen hochwertige neue Produkte herzustellen, um so ihre Lagerbestände zu reduzieren und neue Aufträge zu generieren.“

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So werden Druckereien nachhaltiger

Die meisten Druckereien, mit denen er Kontakt aufgenommen habe, seien für seine Idee vom „Weiterverwerten statt Recyclen“ schnell zu begeistern. Kostenreduktion – immerhin haben die Druckereien ja für das überschüssige Papier bezahlt – und Nachhaltigkeit seien sehr im Sinne der Betriebe. Auch der Bundesverband Druck und Medien konstatiert seinen Mitgliederrn ein wachsendes Umweltbewusstsein.

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So engagierten sich immer mehr Druckereien und Verlage in der Klimainitiative der Landesverbände, bei der sie ihre produkt- oder unternehmensbezogenen Emissionen mit dem CO2-Rechner quantifizierten und dann kompensierten. Der Bezug von Ökostrom, die Verwendung mineralölfreier Farben, die FSC-Zertifizierung für Papiere aus nachhaltiger Waldwirtschaft, effiziente Regelungstechniken an den Druckmaschinen – all dies sind Maßnahmen, um den Druck umweltfreundlicher zu gestalten.

„Alles gut und richtig“, findet Stefan Böhm. „Wer aber ein Produkt mit Papierretter-Siegel kauft, kann obendrein gewiss sein, dass dafür weder neues Holz geschlagen noch C02 generiert wurde“, betont der Papierretter vom Riegsee. 

Zum Webshop des Papierretters.