Deutschlands erster solidarischer Mitmach-Supermarkt, der FoodHub München, feiert einjähriges Bestehen und zählt bereits auf 1600 Genossen, die hier arbeiten und einkaufen: regional, bio und fair. 

Stefan Lindemann staubt erst einmal die Wein-, Sekt- und Bierflaschen ab, die sich im Holzregal aneinanderreihen. Vollgestaubte Flaschen kauft ja keiner. Später wird er helfen, die Fleischlieferung von Bio-Landwirt und Metzger Franz Eisgruber einzusortieren. Und Käse und Butter in kleinen Portionen abzupacken. Vielleicht macht er später noch Kassendienst. Doch egal, wobei Lindemann heute mitanpackt, es wird ihm das gute Gefühl geben, etwas Sinnvolles zu tun. „Ich habe viele Jahre als Moderedakteur bei Hochglanzzeitschriften gearbeitet“, sagt der 53-Jährige. „Aber ich hatte schon lang das Gefühl, etwas ändern, die Oberflächlichkeit und Konsumorientierung der Modemagazine hinter mir lassen zu wollen.“   

Wichtig und nachhaltig

Dass er jetzt im Supermarkt arbeitet, erfüllt ihn mit Stolz. „Die Arbeit hier ist wichtig, sie ist nachhaltig und sie verändert einen.“ Dabei bekommt er seine Stunden in dem Vollsortimenter in der Deisenhofener Straße nicht einmal bezahlt. Vielmehr musste er – wie alle anderen, die hier Schicht schieben – erst noch eine Einlage von 180 Euro leisten. Anfangs absolvierte der Untergiesinger nur das Mindestpensum von drei Stunden im Monat zwischen Regalen, Kühltruhen und Obsttheke. Doch seit ein paar Tagen ist er als Praktikant in Vollzeit beschäftigt und würde am liebsten nie wieder woanders arbeiten.  

Wieso der Münchner so für seinen ungewöhnlichen Arbeitsplatz schwärmt, erschließt sich, sobald man die 340 Quadratmeter Verkaufsfläche betritt: Denn beim FoodHub in Obergiesing handelt es sich um alles andere als einen gewöhnlichen Laden. Vielmehr ist es ein genossenschaftlicher Mitmach-Supermarkt. Der erste seiner Art in Deutschland. Ein knappes Jahr nach Eröffnung am 8. Juli 2021 sind bereits 1600 Menschen so begeistert von dem solidarischen Supermarkt, dass sie Anteile an ihm erworben haben. Und damit auch das exklusive Recht, hier einzukaufen: überwiegend regional, saisonal, immer fair gehandelt und oft unverpackt.  

Genossen für den FoodHub gesucht

„Innerhalb von zweieinhalb Jahren müssen wir 2500 Genossen werden, um wirtschaftlich zu sein“, sagt Kristin Mansmann. Die 49-Jährige ist zuversichtlich, auch dieses Ziel zu erreichen. Denn was die Bio-Imkerin und ihre Mitstreiter, der 30-jährige Wirtschaftsingenieur Quentin Orain aus Paris sowie Karl Schweisfurth (62), langjähriger Geschäftsführer der Herrmannsdorfer Landwerkstätten, bislang auf die Beine gestellt haben, spricht für sich: Von Tierfutter über Babynahrung und abfüllbarem Spülmittel bis zu Cornflakes, Kokosnussmilch und Asia-Gewürzen ist im FoodHub alles zu finden, was auch ein mittelgroßer Bio-Markt zu bieten hat.

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„Wir garantieren, dass es bei uns gute Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft zu fairen Preisen gibt, sowohl für die Erzeuger als auch für die Verbraucher“, nennt Mansmann eins der wichtigsten Alleinstellungsmerkmale des FoodHub.  Um kostendeckend und transparent arbeiten zu können, wird auf alle Ware pauschal 30 Prozent aufgeschlagen. So sei zwar etwa die Butter teurer als im konventionellen Supermarkt. Aber nur auf diesem Wege könne man dem Landwirt einen fairen Preis zahlen und verhindern, dass er wie oft üblich draufzahle.  

Keine Quersubventionen

Mansmann erklärt: „Dass wir viele andere Produkte günstiger anbieten können, gelingt uns wiederum, weil wir zum großen Teil den Großhandel umgehen und bei Direktvermarktern kaufen.“ Neben festen Produzenten belieferten manche Betriebe den Mitmachmarkt auch nur temporär, wie etwa im Herbst und Winter die Apfelbauern. „Die Erzeugnisse ihrer Streuobstwiesen sind optisch nicht immer einwandfrei, aber geschmacklich wirklich fantastisch“, erklärt die Volkswirtin, die in ihrem früheren Leben in Marketing und Unternehmenskommunikation gearbeitet hat und die mit zwei Kindergarten-Gründungen auch schon mit Start-Ups Erfahrung sammeln konnte. 

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Während sie am Gemüsestand mit dem frischen Spargel, dem quietschgrünen Romanesco, den pinken Navet-Rübchen und den knackigen Rhabarberstangen vorbei schlendert, sagt die Initiatorin: „Im Handel werden Bio-Lebensmittel oft künstlich verteuert, um dadurch industriell und oft unter schlechten Bedingungen erzeugte Produkte quer zu subventionieren. So werden diese viel zu billig angeboten, während die überteuerten Bio-Produkte für viele Menschen unerschwinglich sind.“  

Bewusster einkaufen

Doch nicht nur dieses Missverhältnis wird im FoodHub aufgelöst. Auch der Umgang mit Lebensmitteln, die sich ihrem Haltbarkeitsdatum nähern, ist in der Community ganz anders als üblich:  Denn während solche Ware im herkömmlichen Supermarkt kaum noch eine Chance hat, im Einkaufswagen zu landen, versieht Gerti Wimmer soeben die Käsestücke, die bald ablaufen werden, mit kleinen „Kauf-Mich“-Schildern. „Die Leute wählen diese Ware ganz bewusst aus“, freut sich die 60-jährige Sozialwirtin, die ihren Schreibtischjob nur zu gern mit der Arbeit im Mitmach-Markt ausgleicht. „Wir alle entwickeln ein neues Einkaufsverhalten“, erklärt die Giesingerin. Denn immerhin sei allen Kunden aka Eigentümern daran gelegen, dass der Markt keine Miese mache. „Und wenn wir zu viel wegwerfen müssen, dann trägt es sich eben nicht mehr“, ergänzt Kristin Mansmann. 

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Eben dieses neue, bewusstere Einkaufsverhalten der Verbraucher war von Anfang an eins der Hauptziele der Food-Hub-Initiatoren. Denn schon während ihres Engagements für das Volksbegehren Artenvielfalt im Jahr 2019 haben Mansmann und Schweinsfurth mit unzähligen Landwirten gesprochen, die gerne ökologischer wirtschaften würden, es sich aber unter den üblichen Handelsbedingungen schlicht nicht leisten könnten. „Neue Vermarktungsmöglichkeiten sind notwendig. So wie der FoodHub, denn der nicht nur untereinander solidarisch, sondern auch zwischen Städtern und Bauern“, erklären die Supermarkt-Macher, die sich von der New Yorker Park Slope Food Coop mit 17.000 Mitgliedern und der Pariser La Loupe mit 7.700 Mitgliedern inspirieren ließen. Besonders freut es sie, dass nicht nur das mediale Interesse am ersten deutschen Mitmach-Supermarkt groß ist, sondern dass sich bereits in anderen Städten interessierte Nachahmer finden. 

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Die Ware im rechten Licht

Stefan Lindemann, der mit seinem Staubtuch inzwischen beim Craft Beer angekommen ist, findet: „Dass die Lebensmittel einen besonderen Wert für die Food-Hub-Community haben, liegt auch daran, dass wir selbst eine Verantwortung für sie tragen.“ Und zwar nicht nur während der Schicht, wie Kollegin Gerti Wimmer beipflichtet, sondern auch, wenn sie in den Gängen als Kundin unterwegs sei. „Da rückt man schon mal schnell die Ware ins rechte Licht.“ Oder sagt Bescheid, wenn die Milch aufgefüllt werden muss, oder hilft schnell an der Kasse aus. Denn auch das unterscheidet den FoodHub von einem gewöhnlichen Supermarkt: Egal, ob Chefarzt oder Harz IV-Empfänger (für die es eine ermäßigte Einlage gibt), Student oder Rentner, ob Vegetarier oder Fleischesser, sie alle empfinden sich als Teil einer Gemeinschaft, die sich aushilft, unterstützt und die die Hoffnung eint, mit jedem Einkauf die Welt ein kleines bisschen besser zu machen.