Den meisten Menschen dürfte bei ihrer ersten Begegnung mit Norbert Zandt ziemlich mulmig zumute sein. Dabei ist der Oberbayer in keiner Weise gefährlich, furchteinflößend oder auch nur unsympathisch. Vielmehr ist der 66-Jährige ein freundlicher, naturverbundener und gut gelaunter Zeitgenosse. Das flaue Gefühl rührt eher von den Umständen her – wir sind auf Jodelwanderung! 

Da steht man dann auf einer herrlich grünen Wiese auf dem Lenggrieser Hausberg Brauneck nicht weit vom Gipfelkreuz entfernt mit einem Dutzend anderer, denen es ähnlich gehen mag. Anstatt einfach den weiten Blick übers Karwendel oder gen Norden bis nach München in sich aufzusaugen und dann unbeschwert weiterzuwandern, fordert Zandt plötzlich freundlich doch bestimmt zum gemeinsamen Summen auf. Im Anschluss soll jeder hier im Kreis eine Silbe, zum Bespiel „muh“ singen, was sich angesichts einer sich neugierig nähernden jungen Kuh irgendwie anbietet. Laut und leise, hoch und tief, schnell und langsam. Verweigern ist sinnlos, schließlich hat sich ein jeder hier freiwillig zur Wanderung „Natürlich jodeln“ angemeldet. 

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Eine Einheit: Natur und Jodeln gehören zusammen 

Norbert Zandt ist ein emphatischer Mensch und kann sich hineinfühlen in die gemischten Gefühle seiner Begleiter. Für ihn selbst ist das Jodeln in der Natur regelrecht zum Automatismus geworden. „Stell dir vor, du wanderst, schon so seit drei oder vier Stunden, und bist schon recht erschöpft“, erklärt er, „dann erreichst du endlich den Gipfel. Da muss doch was raus, dieses Panorama, das Glücksgefühl, diese Emotionen! Das will doch raus!“ Und dann singt er eben, schickt tief empfundene Jodler gen Horizont und denkt sich auch dann nichts, sollten die anderen Gipfelstürmer einmal irritiert schauen. „Die Leute stören mich ned“, sagt er trocken. 

„Jeder, der reden kann, kann singen. Jeder, der singen kann, kann jodeln“ 

Natur und Jodeln, diese untrennbare Einheit, funktioniert nicht nur im Gebirge, sondern genauso gut im Flachen, findet Zandt, der nebenbei noch eine kleine Marketingberatung für IT-Unternehmen führt. „Ich streife durch den Wald, nehme ihn bewusst wahr, gerate in eine Superstimmung und fange leise an, den Wald zu besingen, ihn akustisch zu kommentieren“, schildert der Lenggrieser ein weiteres Szenario, das ihn unweigerlich zum Jodeln bringt. Aus Feldafing stammend war Zandt 2012 von München in die Isargemeinde gezogen, wo er seit 2013 mit dem Südtiroler Volksmusiker und Jodelprofi Markus Prieth die „Isarwinkler Jodelwanderungen“ organisiert.

Zwei Tage lang kombinieren die Teilnehmer Streifzüge durch die Voralpenlandschaft mit Ausflügen in die urtümlichste aller alpenländischen Volksmusiken, die seit jeher Silben ohne semantische Bedeutung in sprunghafter Melodienfolge aneinanderreiht und derzeit eine echte Renaissance erlebt. Zandt bestätigt: Selbst in Großstädten wie Berlin fänden sich immer mehr Anhänger, die sich an berühmten Jodlern wie zum Beispiel diesem hier versuchten. „Dje di ei ho, dje di ei ho – Alperer, Alperer!”, gibt er unversehens eine kleine Kostprobe. 

Jodelwanderung mit Norbert Zandt erstmals auch im Fünf Seen Land 

Von Prieth vor einer Dekade mit stets noch wachsender Jodellust infiziert leitet Norbert, der zuvor weder gesungen geschweige denn gejodelt hat, inzwischen selbst eintägige Jodeltouren rund um Lenggries. Ab diesem Frühjahr lädt er erstmals auch in der hügeligen Moränenlandschaft zwischen Starnberger und Ammersee zu seinen etwa achtstündigen Wanderungen ein. Zwei Routen hat er im Fünf Seen Land bislang auserkoren, zum einen den landschaftlich einmaligen Andechser Höhenweg bis zum Naturschutzgebiet Mesnerbichl. Zum anderen geht’s in Feldafing einmal rund um Seewies. „Wir laufen auf Forst- und Feldwegen oder Waldpfaden ohne große Höhenunterschiede. Reine Gehzeit sind maximal drei Stunden, ansonsten wird Brotzeit gemacht oder gearbeitet, also gejodelt“, sagt er und grinst wie ein frecher Bub. Denn Jodeln als Ausdruck innerer Emotionen sei ja eben keine Mühe, sondern reine Lust.  

In der Gruppe der Jodel-Eleven auf dem Großen Höhenweg übers Brauneck regen sich Zweifel. Was ist mit den Menschen, die nicht einmal unter der Dusche singen? Die immer nur gehört haben: „Du singst so schief. Sei lieber still!“ Die sollen nun munter alle (Stimm-) Register ziehen, ihrer Kehle die ungewohnten Urlaute entlocken und einfach frei von der Seele weg jodeln? „Ja, genau“, ruft Zandt und kann sich ein Lachen nicht verkneifen. „Jeder Mensch, der reden kann, kann singen und folglich auch jodeln. Wir sind alle mit dieser Fähigkeit begabt“, sagt der 66-Jährige mit Nachdruck. „Jedes Kind singt, bei jeder Gelegenheit. Das ist ein ganz natürliches Verhalten. Nur leider verlieren wir es mit der Zeit“, ergänzt der Lenggrieser und hat dabei sein kleines trällerndes Enkelkind in Feldafing vor Augen. 

Beim Jodeln gibt es kein Richtig und kein Falsch 

Allen, denen es noch immer an Zutrauen fehlt, verrät er ein Geheimnis. Jahre nach seiner ersten Jodelwanderung in Südtirol habe ihm sein Freund, der Markus, gesteckt, dass er keinen Ton getroffen habe, nicht einen. „Aber das ist gar nicht schlimm“, versichert der inzwischen selbst zum Jodelprofi avancierte Zandt, denn beim Jodeln gebe es kein Richtig und kein Falsch. Es gehe allein darum zu spüren, wozu ein jeder in der Lage sei, welche Ausdruckskraft die eigene Stimme habe. Den höchsten Sinn erfülle die Jodelkunst indes, wenn „sie die Stimmung, die du im Herzen, im Hirn oder in der Seele hast, ganz ohne Text, rein über die Laute so transportiert, dass dein Gegenüber das Bild in deinem Kopf versteht und nachempfinden kann.“ 

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Im Übrigen dürfe jeder Jodler ganz frei interpretiert werden. „Wenn du einen der vielen Hunderte im Alpenraum tradierten Jodler lernst, wirst du ihn irgendwann zu deinem eigenen machen, ihm Verzierungen hinzufügen, andere Silben singen“, versichert Zandt. Solange Klang und Tonhöhe passten, sei beim gemeinsamen Singen alles erlaubt. Und das gemeinsame Jodeln, das sei überhaupt das Schönste. „Dabei geht es völlig demokratisch zu, es gibt keinen Dirigenten, keinen Leiter. Einer fangt an, die anderen stimmen ein und so wird ein Jodler durchprobiert, ganz unhierarchisch, intuitiv und individuell.“    

Auch unterwegs auf dem Brauneck geht’s inzwischen ziemlich unhierarchisch zu. An irgendeinem Punkt ist die Stimmung von verhalten-zögerlich umgeschlagen in übermütig-ausgelassen. Sehr zum Erstaunen der Jodel-Anfänger selbst finden sie sich über verschiedene Gipfel verteilt in kleinen Gruppen wieder und schicken einander mit wachsender Lust gejodelte Grüße zu. Kilometerweit schallt ihr „Holla da ri ti jo, ho da rei tam tje“ durch den Isarwinkel. Mulmig ist da höchstens noch dem ein oder anderen Murmeltier. 

INFO zur Jodelwanderung mit Norbert Zandt:  

Die geführte Wanderung „Natürlich jodeln“ mit Norbert Zandt findet am 30. April, 18. Juni, 16. Juli und 15. Oktober im Fünf Seen Land statt, im Isarwinkel am 21. Mai, 9. Juli und 24. September. Weitere Infos und Anmeldungen per Email an norbert@yaggatatam.com.

http://www.yaggatatam.com/

Buchtipps: 

  • DAS Standardwerk: 123 Jodler und Juchzer, Steirisches Volksliedwerk, ISBN 3-902516-25-9 
  • Unsere Jodler, Hermann und Volker Derschmidt, Oberösterreichisches Volksliedwerk, ISBN 978-3-901479-77-9 
  • Lieder und Jodler aus den Goiserer Singstunden mit Lois Neuper, Oberösterreichisches Volksliedwerk, ISBN 3-9501624-1-0 
  • Die Liederbogen des Wastl Fanderl, Verein für Volkslied und Volksmusik e.V., ISBN 3-00-010286-8 
  • 444 Jodler und Juchezer aus der Steiermark und demsteirisch-österreichischen Grenzgebiet, Dr. Josef Pommer