Manche Leidenschaften finden auf der ganzen Welt ihren Platz – nur in der Heimat hapert es ein bisschen. Im Falle von Jesse Hawkins mag das daran liegen, dass man in unseren Gefilden bisweilen einer gewissen Skepsis zugetan ist. Getreu dem Motto: „des hamma noch nia so gmacht“. Und so hat sich der Bernauer in Thailand oder Österreich als Discgolf-Profi einen Namen gemacht – daheim im Chiemgau allerdings fliegt ihm das Business nicht so leicht zu.   

Endlich ein größeres Projekt – wenn auch rund 40 Kilometer vom Chiemsee entfernt. Doch auch dank Jesse Hawkins Expertise thronen am Fuße des Hochecks seit kurzem Vorrichtungen, die wie in den Berg verirrte Basketballkörbe anmuten. Sie sind die Ziele für insgesamt neun Discgolf-Bahnen, an denen auch absolute Anfänger schnell erste Erfolge feiern können. Das ist nur einer der vielen Punkte, die Jesse an seinem Sport schätzt: Einen Frisbee hatte jede*r von uns schon in der Hand. Ihn fliegen zu lassen, bekommt eigentlich auch jede*r hin. 

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Beim Discgolf gilt es lediglich, die Scheiben obendrein möglichst weit und präzise zu werfen. Sie sollen  von der Abwurfmatte in möglichst wenigen Etappen im Korb landen. Dafür gibt’s (ähnlich den unterschiedlichen Schlägern beim klassischen Golf) für die jeweilige Entfernung und Wurftechnik verschiedene Scheiben. Auch sie heißen Putter oder Driver. 

Jesse Hawkins ist eigentlich Bäckermeister – aber kann vom Discgolf nicht die Finger lassen

Wie sehr das Herz von Jesse, Sohn eines amerikanischen Soldaten und einer Bernauer Bäckerstochter, an den Scheiben hängt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er sie – nicht ohne einen gewissen Aufwand – mit psychedelisch aussehenden Mustern einfärbt und die Einzelstücke über seine Instagramseite verkauft. Seine Liebe für den (kommenden?) Trendsport wird auch dadurch untermauert, dass Jesse zwar Verantwortung fürs Bernauer Familienunternehmen übernommen hat und übernimmt – aber vom Discgolfen einfach nicht die Finger lassen kann. 

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Bäckerei und Café Obermaier im Herzen von Bernau am Chiemsee gibt es seit dem Jahre 1903. Bäckermeister Jesse steht seit ein paar Jahren täglich ab drei Uhr morgens in der Backstube. Unter anderem, weil er als Papa „eine Base“ haben wollte und haben will. Dort handwerkelt er so, wie es vier Generationen vor ihm schon taten. Bisweilen grübelt er dabei aber schon, warum seine eigentliche Leidenschaft im Chiemgau noch nicht den Drive bekommen hat wie auf der thailändischen Insel Koh Mak oder in Oberösterreich. Dort hatte man ihn ohne zu zögern als Discgolf-Guide eingestellt und seine Träume wahr werden lassen. „Da war des a gmahde Wiesn“, sagt Jesse. 

Gesucht: A gmahde Wiesn

Mehr bräuchte es im Grunde kaum zum Discgolfen. Doch wenn er solche Wiesen im Chiemgau sucht, nimmt Jesse zu den Gesprächen mit den Besitzern – meist  „ureingesessene Bauern“ – vorsorglich Kumpels mit. Manche Gesprächspartner*innen nehmen auch heutzutage noch Anstoß an seinem Aussehen, behandeln ihn unhöflich, lassen ihn ihren Alltagsrassismus spüren. 

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Veränderung braucht „hier“ offensichtlich Beharrlichkeit. 15 Jahre Ochsentour durch die Behörden im Chiemgau hat der Bernauer inzwischen hinter sich. Auf Begeisterung für seine Ideen inklusive erprobter Konzepte, um freie Flächen als Discgolfgelände zu nutzen, stieß er zwar fast überall. Doch eine feste Anlage, die dafür sorgt, dass der Sport auch am Chiemsee richtig ankommt, gibt es bis heute nicht. Was es bräuchte: Kaum mehr als neun Hektar Land, auf dem Disgolfer*innen Platz finden, gerne auch neben anderen (Freizeit-)Sportler*innen oder Erholungssuchenden. „Wir hätten doch hier im Chiemgau so viele Flächen und Möglichkeiten“, wundert sich Jesse. 

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Ein gutes Beispiel für eine gelungene Umsetzung: der Luitpoldpark im schwäbischen Schwabmünchen. Discgolf-Weltmeister Michael Kobella hat dort gemeinsam mit der Stadt einen schon nach kurzer Zeit beliebten 18-Loch-Parcours errichtet – direkt neben Spiel-, Fußballplatz und Biergarten. Der Präsenz des Sports sei Dank ist aus dem ehemals lediglich einem guten Dutzend „Schwabmünchner Guerillas“ längst ein Verein mit hunderten Mitgliedern geworden. „Hierzulande“ schleppen Jesse und seine Mitstreiter*innen nach wie vor ihren portablen Korb durch den Bernauer Kurpark und lassen alle Neugierigen werfen. Immerhin. „Da, wo ich bin, da passiert auch Discgolf“, bleibt Jesse optimistisch. Er verweist auf die Herkunftsgeschichte des Frisbee, die in den USA mit leeren runden Kuchenblechen begonnen haben soll. Und ist damit vom Bäckerhandwerk ja gar nicht so weit entfernt. Da lässt sich doch der Brotjob gleich sportlicher sehen. 

Wann immer möglich, organisiert der Bäckermeister Turniere, Meisterschaften, Teambuilding-Events und Trainings für eine Sportart, die äußerst inklusiv ist. Wer Jesse dafür buchen oder bei seiner Mission „Discgolf-Anlage im Chiemgau“ unterstützen will, tut dies am besten über Facebook oder Instagram. Bis es klappt, gilt es halt noch zum Hocheck zu fahren…