Umwege kennt er. Doch nach langen Wanderjahren ist der Bildhauer in Berg und in seiner Kunst sesshaft geworden.

Fotos: Andreas Jacob, privat

Hans Panschar ist dem Menschen auf der Spur. Doch um dessen Wesen zu erfassen, stellt der Bildhauer ihn niemals selbst dar. In der geräumigen Werkstatt in Berg im Landkreis Starnberg findet sich kein einziges Bildnis der menschlichen Figur, keine Büste, nicht eine Körper-Skulptur. Panschar nimmt zur Ergründung der menschlichen Essenz einen Umweg. Er nähert sich ihr über die Dinge, die der Mensch schafft, die er nutzt und braucht. Braucht, um sich in der Welt einzurichten: Behausungen, Alltagsgegenstände wie Stühle und Tische oder Werkzeuge wie Messer, Gabel, Löffel und… Bücher.

„Künstler gehen nicht in Rente“

Erst am Vorabend aus dem Griechenlandurlaub zurückgekehrt, kocht Panschar auf einer kleinen Elektroplatte Kaffee in einer Espressokanne und erhitzt im Wasserkocher Wasser für einen heißen Tee. Es ist kühl, als wir ihn in seinem zum Atelier umgebauten Pferdestall am Ostufer des Starnberger Sees besuchen. „Ja, ein Domizil im Süden, das wäre was Feines“, sinniert der 61-Jährige mit der sonnengebräunten Haut. Aber gut arbeiten müsste er dort können, denn eins sei gewiss: „Künstler gehen nicht in Rente. Ich werde immer etwas mit meinen Händen schaffen wollen.“ Mit dem steten Fernweh des Oberbayern sind wir bei einem Motiv, das neben der Frage nach dem Wesen des Menschen das Leben und Wirken des Bildhauers seit jeher prägt: Wie lässt sich eine Balance finden zwischen heimisch werden und unterwegs sein, zwischen Wurzeln schlagen und davonsegeln? Letzteres ist durchaus wörtlich zu verstehen.

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Schon der junge Hans liebte Wassersport aller Art. Von seinem Wohnort Germering war’s nicht weit bis zu Wörth- und Ammer-see, wo er als Windsurfer übers Wasser schoss. Nach dem Windsurfen kam das Wellenreiten. Da die Gewässer des Fünfseenlandes dafür aber nicht taugen, ging der 21-Jährige nach der Fachoberschule für Gestaltung auf Weltreise. Mit zwei Freunden bereiste er in den nächsten zwei Jahre Asien, Australien, Süd- und Nordamerika. „Danach musste ich mir doch einmal überlegen, was ich beruflich machen will“, blickt Panschar zurück, „und da wir weiter reisen wollten, und zwar so autark wie möglich, war klar: Wir würden uns selbst ein Schiff bauen müssen.“

Hans Panschar trifft Heinz Rühmanns Sohn

So erlernte Hans in der Bootswerft Glas in Buch das Handwerk des modernen Holzbootsbaus. Er lernte Holz, aber auch Epoxy und Kunststoffe zu verarbeiten, zu schweißen und Trampoline für Katamarane zu nähen. „In der Rückschau vielleicht etwas waghalsig, sich seinen Beruf nach seinem Hobby auszusuchen“, sagt er schmunzelnd, „andererseits ist es gut, seiner Leidenschaft zu folgen.“ Wobei „gut“ im Falle des Bergers ein rechter Euphemismus ist, „lebensentscheidend“ träfe es eher. Einerseits, weil der anschließende Bau seines Hochseekatamarans den gebürtigen Münchner in den höchsten Norden, nämlich nach Lübeck verschlug. Hier lernte er seine Frau Jenny kennen. Andererseits, weil die nach einer Straßenkreuzung in Neuseeland benannte „Pukuri“ Jahre später Peter Rühmann (tatsächlich den Sohn des berühmten Heinz) derart beeindrucken sollte, dass er ihm die Leitung der Schreinerei an seinem Lehrstuhl für Ergonomie an der TU München übertrug. Doch dazu später.

Zuvor verwirklichten Hans und sein damaliger enger Kumpel Andi noch ihren großen gemeinsamen Traum einer Reise in völliger Freiheit: Sie umsegelten auf ihrem Katamaran England, Frankreich und Spanien, um am Ende die stürmische Meerenge von Gib-raltar zu passieren. Schließlich erreichten sie völlig abgebrannt Mallorca. „Wir vermieteten uns selbst als Skipper und unsere Pukuri für Charterreisen im Mittelmeer und vor der spanischen Atlantikküste“, erzählt Panschar.

Abgebrannt auf Mallorca

Erste Kunstobjekte aus Treibholz entstanden auch zu der Zeit. Gleich vom Schiff weg habe er sie noch unter die Leute gebracht. Wie passend, dass Jenny eben zu der Zeit in San Sebastián als Lehrerin arbeitete. Nur zu gern schlug der Wassersportler an einem der schönsten Surfspots des Baskenlandes sein Winterquartier auf. Als Hans‘ Reiselust nach zwei Jahren vorerst gestillt und seine Gefährtin an einer Münchner Grundschule untergekommen war, begann der Endzwanziger als Möbelbauer zu jobben. Die nächste glückliche Fügung, die Panschars Leben eine entscheidende Wendung geben sollte, ließ nicht lange auf sich warten. Sie begegnete ihm in Person des bereits erwähnten Peter Rühmann. „Ihr Katámaran fasziniert mich“, kopiert Panschar die ungewöhnliche Intonation seinen ehemaligen Chefs.

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Nachdem Tee und Kaffee ausgetrunken sind, wuchtet der Gastgeber einen schweren Eichenholzblock auf die Werkbank. Es handelt sich um ein fast vollendetes Exemplar aus seiner Serie „Stadt-Archen“. Eng schmiegen sich Häuser verschiedener Höhe und Form aneinander, umfasst werden sie vom kräftigen Rumpf eines Schiffes, alles aus einem Stück, freigelegt mit der Motorsäge. Mit seinen Stadt-Archen hat der Bildhauer in seiner Kunst die perfekte Form gefunden, um die vermeintlich konträren Zustände des Unterwegs- und des Angekommenseins miteinander zu versöhnen.

Panschar selbst beendete vor fast einem Vierteljahrhundert seine Wanderjahre und wurde mit seiner Frau und im Laufe der Jahre drei Töchtern in dem alten Bauernhof in Berg-Allmannshausen sesshaft, der bis heute seine Werkstatt beherbergt. „Ich habe, als die Mädchen klein waren, viel und hart gearbeitet. Eine fünfköpfige Familie durchzubringen, war trotz Jennys Berufstätigkeit nicht immer leicht“, sagt Panschar, den eine innige Hassliebe mit seinem wichtigsten Werkzeug, der Motorsäge, verbinde. Für jemanden, derschwere körperliche Arbeit verrichtet, ist der 61-Jährige mit den hellen blauen Augen hinter runden Brillengläsern sehr schlank. Im Laufe der Zeit habe er sich einen „Motorsägenarm“ eingehandelt.

Erst Möbel, dann Kunst

Während es anfangs vor allem Möbel waren, brachten Motorsäge, Hammer und Meißel, Feile und Pinsel immer öfter Kunstobjekte hervor. Der Handwerker (inzwischen hatte Panschar in Abendkursen den Schreinermeister absolviert) wandelte sich immer mehr zum Künstler. Glücklicherweise vollzog die Kundschaft die Entwicklung nicht nur mit, sondern wurde mit der Zeit auch immer zahlreicher. Ausstellungen in ganz Deutschland, Österreich und Frankreich sowie die Kooperation mit Galerien trugen dazu bei. „Dass man tatsächlich von der Kunst leben kann, hätte ich als junger Mann nicht geglaubt“, sagt Panschar.

Doch waren es offensichtlich nicht nur glückliche Fügungen, sondern auch eine große Portion Talent gepaart mit einem scharfen Auge für die in Alltagsdingen verborgene Kunst, denen sich Panschars Erfolg als Bildhauer verdankt. Ein besonders beeindruckendes Beispiel für die seit Jahrzehnten gern praktizierte Transformation von Fundstücken in Kunstwerke voller Humor und Poesie ist etwa die aus zwei entsorgten, verdengelten Schiffsschrauben und einem ausrangierten Spazierstock kombinierte „Fleur de Leoni“, die das Atelier schmückt.

Hans‘ feiner Sinn für die Sprache, für die Bedeutung von Worten ist ein weiteres Markenzeichen seiner Kunst. So offenbart häufig erst der Titel den doppelten Sinn einer Skulptur und macht aus ihr einen zur Gestalt gewordenen Vers. Das von Nägeln durchbohrte Haus tauft der Künstler etwa „Nagelstudio“, jenes auf Skistöcken „Skihütte“ und das sympathische, mit einem Schnabel versehene Häuschen ist natürlich das „Vogelhaus“, während die Bank, auf deren Sitzfläche sich eine Berglandschaft erhebt, folgerichtig „Bank mit Bergblick“ heißt.

Symbole und Zitate aus Holz

Die Serie „Bücher ohne Worte“ beinhaltet wiederum behutsam in Brenntechnik geschwärzte Bücherstapel, die an einen Tiefpunkt menschlicher Kulturleistung, die Bücherverbrennung, erinnern. Die Serie „Stadträder“ setzt sich aus großen Holzrädern zusammen, in deren Inneren sich von Megacitys wie New York inspirierte Skylines aneinanderdrängen – eine Art Weiterführung des Stadtarchen- rinzips, wobei hier ganze Städte ihre natürliche Bodenhaftung verlieren und in Bewegung gesetzt werden. Die Arbeiten der Serie „Das Haus in den Bergen“ greift dann wieder einen der großen Sehnsuchtsorte auf, den Panschar mit vielen seiner über das ganze Land verteilten Kund*innen teilt.

Symbole, Zitate, wohin das Auge schaut. Fassbinders Wunsch „Ich möchte Musik machen können“ findet sich auf der Gitarre wieder, deren Hals ein Kettensägenblatt ersetzt. Die Liedzeile von Element of Crime „Alt wie der Mensch ist die Sehnsucht nach der Ferne, diesmal mein Herz, diesmal fährst du mit“ ziert ein Exemplar aus der Kollektion von Schiffen, die in Eisenkreisen kreisen. Dann fällt der Blick auf die einzigartigen Häuserskulpturen, die sich aus einer geschnitzten Holzform und einem gegossenen Betonfundament zusammensetzen und die ihr Schöpfer immer weitervariiert.

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Denn diese eigenwillige Kombination aus kühlem Beton und lebendigem Holz hat den bekannten Münchner Architekten Florian Nagler vor einigen Jahren derart begeistert, dass er für die Panschars ein außergewöhnliches Wohnhaus baute, das von der Beton-Holz-Skulptur inspiriert ist. Womit der Künstler und sein Architekt den Gedanken der Mimesis auf den Kopf gestellt und dem Bildhauer ein Leben in der Kunst ermöglicht haben. Sicher nicht die schlechteste Art und Weise, um glücklich sesshaft zu werden.

Noch mehr Kunst und Handwerk: Blaudruck aus Bad Aibling

Wer gemeinsam mit Hans Panschar dem Menschenwesen (oder dem Wesen des Menschen) auf die Schliche kommen will, kann sich in seinem Atelier im Zieglerweg in Berg auf Spurensuche begeben, gern an den Ateliertagen von Berg/Icking am 7. und 8. sowie 14. und 15. Oktober oder auch nach Absprache. Oder man heftet sich wie fast 20.000 andere Follower*innen auf Instagram @hanspanschar an die Fersen.