In ihrer Werkstatt in Bad Aibling hält Swetlana Becker das alte Handwerk des Blaudruckens am Leben – mit überliefertem Wissen und uralter Technik. 

Wenn sich Swetlana Becker alljährlich in der oberösterreichischen Gemeinde Gutau einfindet, dann zelebrieren sie und der Rest der deutschen Delegation jedes Mal eine Art letztes Abendmahl. Die Zunft (und mit ihr ein jahrtausendaltes Handwerk) ist vom Aussterben bedroht. Zwölf sind sie nur noch, die das Verfahren und die geheimen Rezepturen des Blaudrucks von ihren Meistern oder Meisterinnen überliefert bekommen haben, um es nun eigenhändig und originalgetreu ausüben zu können; Zwölf von dereinst hunderten. Österreich beherbergt nur mehr zwei Werkstätten. Addiert man die Betriebe ganz Europas, landet man unter dreißig. Man kennt sich also, in Gutau, wo jedes Jahr am ersten Sonntag im Mai der Färbermarkt stattfindet. An diesem Tag sind der Markplatz und die Straßen dank der ausgestellten Waren in blau getaucht und alles erinnert an die Blütezeit des Handwerks. 

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In der „Küpe“ spielt sich die Magie ab

Schon im Altertum wusste man in Ägypten, China und insbesondere Indien von der Kunst, Stoffe mithilfe der Indigo-Pflanze blau zu färben – denn streng genommen bedruckt man den Stoff gar nicht. Den Meister*innen sagte man auch in der Neuzeit noch, nachdem Reisende der Niederländischen Ostindien-Kompanie Ende des 17. Jahrhunderts Indigo nach Europa gebracht hatten, Zauberkraft nach. Der Pflanzenextrakt selbst scheint zunächst nämlich sattgrün, wie man bei einem Besuch in Swetlanas Werkstatt in Bad Aibling gut beobachten kann, wenn sie an einem möglichst sonnigen Tag zur Tat schreitet und eine Stoffbahn wieder und wieder in eine Art Brunnen taucht. Küpe heißt das gut drei Meter tiefe, in den Boden eingelassene Loch, das in einem kleinen, gefliesten Schuppen im Garten hinter der imposanten Gründerzeitvilla liegt und das Herzstück der Blaudruckerei bildet. Hier spielt sich die Magie ab. 

Über dem kleinen Bad ist eine runde, stählerne Konstruktion angebracht: der Sternreif, in den Swetlana bis zu 18 Meter Stoff spannen kann, die sie dann flaschenzugartig zu Wasser lässt. Doch gemach, gemach! Zuvor gelte es, die geheimnisvolle Flüssigkeit zu „beleben“, erklärt Swetlana. Eine Tätigkeit, die sie schon am Vortag erledigt hat. Da reines Indigo nicht wasserlöslich ist, muss man es sich mit Zutaten wie Kalk und Eisen erst einmal gefügig machen. Die genaue Zusammensetzung bleibt, wie so vieles im Blaudruck, Berufsgeheimnis. Über Nacht hat sich auf der Oberfläche der grünen Brühe – ähnlich der Haut auf erwärmter Milch – eine blaue Schicht gebildet,   die bereits ahnen lässt, was später mit dem Stoff geschehen wird. 

Ehe Swetlana den Sternreif zu Wasser lässt, rührt sie ihren Extrakt ordentlich um. Die dabei entstehenden Bläschen, die sogenannten „Küpenblumen“, schöpft sie ab, weil  die den Oxidationsvorgang im Stoff verhindern würden. Deshalb wartet Swetlana auch auf das passende Wetter: Die Stoffe nehmen erst später, beim Trocknen draußen an der Sonne, wie von Zauberhand jene ozeantiefen, von keinem industriellen Verfahren der Welt kopierbaren Blautöne an. „Das macht alles die Natur, ich bereite es ihr nur vor“, sagt Swetlana augenzwinkernd.  

Die genaue Zusammensetzung? Geheim!

Um Mutter Natur möglichst gut in die Hände zu spielen, bedarf es zuvor vieler, vieler Handgriffe, die Swetlana in ihrer Werkstatt vornimmt. Diese befindet sich vorne, im Erdgeschoss des Gebäudes, und wird von einem riesigen Tisch und einem Regal beherrscht, das die wichtigsten „Werkzeuge“ der alten Blaudruckerei beherbergt. „Model“ werden die hölzernen, mit hauchdünnen Messingstiften beschlagenen Druckstöcke genannt. Das Prunkstück wiegt ein paar Kilo und hängt als Schmuck an der Wand. Ihre Schlafzimmervorhänge habe sie damit zwar bedruckt, ansonsten komme das Trum aber nicht zum Einsatz – damit würde sie sich auf Dauer nur die Handgelenke ruinieren, erklärt die 46-Jährige.

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Um die für den Blaudruck charakteristischen, weißen Muster auf den Stoff zu bekommen, muss so ein Model nämlich hochakurat wieder und wieder – wie ein Stempel – auf den (absolut tiefenrein gewaschenen) Stoff gedrückt werden. Dabei überträgt man den „Papp“, eine dickflüssige, wasserabweisende Masse auf das Leinen. Die genaue Zusammensetzung ist natürlich wieder geheim, Hauptbestandteile seien aber, verrät Swetlana, Gummi arabicum und Tonerde. Der Papp „reserviert“ das spätere Muster. Die Indigo-Tinktur kann später nicht durch die Masse dringen, sodass der Stoff unter dem Muster weiß bleibt. Anders als das Blau lässt sich der Papp dafür rückstandslos auswaschen, was wiederum hinten im Schuppen passiert, wo ein altes Ungetüm von Waschmaschine steht – ein Erbstück, wie man es heute wohl kaum mehr bekommen könnte. 

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Wie geht’s weiter mit dem Blaudruck in Bad Aibling?

Apropos Erbstück: ein gutes Stichwort! Im Grunde kann man die gesamte Werkstatt mitsamt dem zugehörigen Wissensschatz als Erbe bezeichnen. Der (echte!) Blaudruck ist kein geregelter Lehrberuf, es gibt keine offizielle Ausbildung, kein Studium, das Interessent*innen die nötigen Handgriffe und Rezepturen lehrt. Das Handwerk wird von Person zu zu Person, von Meister*in zu Lehrling weitergegeben. Deshalb trägt Bad Aiblings alte Blaudruckerei auch nicht den Namen von Swetlana und Andrej Becker, sondern nach wie vor den ihrer Vorgänger: Henkenjohann & Sander. Mit Dankbarkeit und Ehrfurcht spricht Swetlana von jenem Paar, bei dem die hauptberufliche Altenpflegerin rund sieben Jahre in die Lehre gegangen ist. Dereinst,  hofft sie, wird auch sie eine Person finden, die würdig, wissensdurstig und fleißig genug ist, um dieses alte Handwerk hier in bad Aibling am Leben zu erhalten. Swetlanas Tochter hat zumindest schon Gefallen gefunden an den zauberhaften blauen Stofferzeugnissen und unterstützt die Mutter an manchen Tagen. Wer weiß, vielleicht fährt Anna ja irgendwann nach Gutau, zum letzten Abendmahl der Blaudrucker*innen.