Anya Rüngelers Weg vom CEO-Posten zum erfolgreichen Foodblog.

Fotos: tegernsee kitchen

Foodblogs gibt’s wie Pestogläschen im Supermarktregal. Aus diesem satten Angebot mit einer eigenen Geschmacksnote hervorzustechen, ist nicht so einfach. Dass es ausgerechnet Anya Rüngeler aus Rottach-Egern es mit ihrer „tegernsee kitchen“ geschafft hat, verwundert dennoch nicht. Beruflicher Erfolg als Lohn für einen kräftigen persönlichen Invest war der 48-Jährigen schon vor ihrer Zeit als hauptberuflicher Influencerin stets reichlich beschieden. Doch das war’s auch schon mit Gemeinsamkeiten zwischen Anyas früherem und ihrem aktuellem Berufsleben. 

tegernsee kitchen hat über 42.000 Fans

Als Managerin und CEO für digitale Start-ups, große Player wie Rocket Internet und Amazon sowie als Geschäftsführerin des Finanz-Start-ups Outbank (und nach dessen Übernahme durch Verivox weiterhin in verantwortungsvoller Position) hat Anya jahrelang kräftig reingebuttert, die Arbeitsstunden nicht gezählt, den Bürostuhl höchstens mal mit dem Auto- oder Flugzeugsitz getauscht, Teams geleitet und motiviert, Entscheidungen getroffen und getragen – aber auch das persönliche Wohlbefinden dem Fortkommen der Firmen untergeordnet. „Dass ich’s übertreibe und auch die Gründe, aus denen ich das tu, habe ich lange Zeit ignoriert und mit noch mehr Arbeit kompensiert“, sagt die großgewachsene Frau mit geradem Blick in die Kamera ihres Computers. Den hat sie heute Vormittag ausnahmsweise für unser Zoom-Gespräch aufgeklappt.

Normalerweise wäre jetzt der Moment, Tomaten, Auberginen und Zucchini zu schnibbeln, Pasta ins kochende Salzwasser zu werfen, Pinienkerne zu rösten – und nebenbei ein Foto-Setting auf dem Küchentisch aufzubauen, um die Arbeitsschritte oder, je nach Zeit, nur das Endprodukt für die (inspirations-)hungrige Community festzuhalten. Die ist binnen fünf Jahren auf 42.000 Insta-Follower angewachsen und verschlingt nicht nur die täglichen Posts, sondern auch die ausführlichen Blog-Artikel und Rezepte.

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Nein, das hätte sie nicht erwartet, als sie sich im April 2018 der Challenge stellte, an 365 Tagen jeweils ein neues Gericht zu kochen und zu posten. „Ich war es gewohnt, sehr viel zu arbeiten“, erinnert sich die gebürtige New Yorkerin an die Anfänge ihrer Selbstständigkeit, „doch nachdem wir vom Vergleichsportal Verivox übernommen wurden und ich so von einem kleinen Start-Up zu einem großen Unternehmen kam, war plötzlich Raum für neue Gedanken da.“ Zum Beispiel, dass sie nichts Bleibendes erschuf, dass sie aber große Lust auf mehr Kreativität hatte. Und auch, dass es für einen Körper unter Dauerstrom nicht hilfreich ist, sich mittags beim Italiener um die Ecke ein fettes Pasta-Sahne-Gericht zu geben oder morgens im Flieger einen süßen Müsliriegel zu verdrücken, statt ein ausgewogenes Frühstück mit Obst, griechischem Joghurt und Vollkornflocken zu genießen.

Als sich die chronischen Rückenschmerzen zu einem Bandscheibenvorfall und die Schlafstörungen zu einem Burn-out ausgewachsen hatten, entschieden Anya und ihr Mann Lucas, dass sie sich beruflich verändern würde. Mehr oder weniger zur selben Zeit stellte ein weiteres Ereignis das bisherige Leben der Rund-um-die-Uhr-berufstätigen Mutter auf den Kopf: Sohn Max, nicht einmal vier, erhielt die Diagnose Diabetes Typ 1. Eine Autoimmunkrankheit, die das Kind nun für den Rest seines Lebens begleiten wird. Doch anstatt sich entmutigen zu lassen, packte Anya diese Herausforderung, wie es ihrem Naturell entspricht, mutig bei den Hörnern. Denn die Frage, „was essen wir eigentlich und wie wirkt sich das auf Körper und Gemüt aus?“, musste nun noch dringlicher beantwortet werden. 

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Anyas Herz schlägt für Pasta

„Max kann und soll in Maßen alles essen, um trotz aller Restriktionen ein normales Verhältnis zum Essen zu entwickeln. Dennoch muss 24/7 auf den Blutzucker geachtet werden, um eine Unterzuckerung sowie langfristige Schäden wie Durchblutungsstörungen oder Sehverlust zu verhindern“, erklärt seine Mutter. Deshalb isst der inzwischen Siebenjährige auch schon mal Fleisch, im Gegensatz zu seinen Eltern, die sich fast ganz vegetarisch ernähren. Das Fleisch holt Anya beim Gschwandlerhof in Tegernsee, wo Landwirt Matthias Stadler so wie schon seine Vorfahren seit 1776 art- und umweltgerecht Rinder züchtet.

Anyas Herz schlägt vor allem für Pasta, die sich so vielseitig variieren lässt, und natürlich für Gemüse aller Art. Was sie daraus kreieren wird, ergibt sich meist erst beim Einkaufen auf dem Markt in Miesbach, im Supermarkt oder in der Gärtnerei in Kreuth, in der sie Regionales und Saisonales einkauft. „Mir ist wichtig zu zeigen, dass man ohne großen Aufwand abwechslungsreich kochen kann“, betont die Berufsbloggerin. Betrachtet man die farbenprächtigen, wunderhübsch arrangierten Speisen auf tegernseekitchen.de wie „Flammkuchen mit Zucchiniblüten“, „Gegrillte Süßkartoffel mit Roter Beete & Feta“, „Warmer Spinat mit Spargel“ oder „Dal mit Karotten, Süßkartoffeln und roten Linsen“, beschleichen den Was-soll-ich-heute-nur-kochen?-Küchentyp leise Zweifel, ob dahinter nicht doch jede Menge Arbeit, Hingabe und Talent stecken. 

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Auch wenn Anya weder von der Großmutter, die in Herrenhäusern diente, noch von der schottischen Mutter ans Kochen herangeführt worden ist, sondern über den Umweg „bewusste Ernährung“ an Herd und Ofen landete, beweist sie ein Händchen fürs Kochen. Und über den Tellerrand zu schauen, hat sie als Diplomatentochter eh schon früh gelernt. Als Siebenjährige verließ ihre Familie New York, um einige prägende Jahre in Kenias Hauptstadt Nairobi zu verbringen, bevor es zurück nach Deutschland ging. „Ich finde, man kann Kochen mit Malen vergleichen. Selten wird etwas wirklich neu erfunden, aber man entwickelt Varianten, seinen eigenen Stil“, sagt die experimentierfreudige Influencerin.

Geht mal was daneben oder schmeckt ihren Männern nicht besonders, darf das die Community auch erfahren. Neben der Ernsthaftigkeit und dem Fleiß, mit dem Anya ihre „tegernsee kitchen“ führt, ist es die Ehrlichkeit ihres Foodaccounts – Lebensmittel mit Haarspray ansprühen, damit es besser aussieht? No way! –, die ihre Follower lieben. Doch nicht nur die, auch Werbepartner sind interessiert und sorgen dafür, dass sich die persönliche Challenge zu einem tragenden digitalen Geschäftsmodell entwickelt hat. Ob sie Hektik und Verantwortung vergangener Tage vermisst? „Kein Stück!“, versichert die blonde Frau und lässt Lachfältchen um die blauen Augen knittern. 

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Vor allem lokale Anbieter wie die Münchner Käse Manufaktur, das Restaurant Manuelis aus Miesbach, das Hofgut Reiter in Irschenberg oder die Zahlersberg Distillers aus Gmund finden in Anyas Blog Platz. Ebenso wie Einblicke in ihr Privatleben und die Gedanken der Lebensmitteltechnologin zur Bedeutung von Streuobst, den Gefahren von zu viel Zucker, dem Für und Wider von Salz oder dem Hype ums Biosiegel. Auch Anyas zauberhafter Wohnort ist nicht nur im Namen fester Bestandteil des Foodblogs. „Am Tegernsee zu leben, ist ein Privileg“, sagt sie, die zuvor in Bonn, Luxembourg und Berlin gewohnt hat. Die Schönheit des Tegernseer Tals, der Wechsel der Jahreszeiten spiegeln sich auf Insta und im Blog wieder. „Einige meiner Follower freuen sich jeden Tag auf die Impressionen, die ich auf meinen Morgenspaziergängen oder auf Wanderungen von ihrem Sehnsuchtsort sammle“, sagt Anya Rüngeler. Es sind wohl diese individuellen Zutaten, die für die besondere Note und den Er- folg von tegernsee-kitchen.de sorgen.