Eine Gästeführerin geleitet Teilnehmer*innen durchs mittelalterliche Burghausen und streift dabei sowohl die halbe Welt als auch ausgewählte Bars und Restaurants. Es zeigt sich: Geschichte geht durch den Magen.

Fotos: Andreas Jacob

Statt in einem silbernen Delorean treten wir unsere Zeitreise per Pedes an. Logisch, der Burghauser Stadtplatz mit seinen 200 Metern Länge wäre ja auch viel zu kurz, um die notwendige Geschwindigkeit von 88 Meilen pro Stunde zu erreichen. Doch drunter zündet der Fluxkompensator der (zumindest unter Cineasten) bekanntesten Zeitmaschine der Welt bekanntlich nicht. Egal, wäre eh viel zu schade, an diesen pittoresken Fassaden aus Renaissance, Barock und Rokoko einfach blindlings vorbeizurasen. Wir sind schließlich angetreten, um etwas über die Geschichte der altehrwürdigen Herzogstadt zu erfahren.

Gästeführerin Melanie Bayer beamt uns ins Mittelalter

An der Seite von Melanie Bayer werden wir im Rahmen dieser Stadtführung buchstäblich eine Reise durch Raum und Zeit unternehmen – allerdings binnen weniger Stunden und auf einer Wegstrecke von maximal zwei Stadionrunden. Klingt tricky, gelingt aber – dank des Treibstoffs aus kulinarischen Köstlichkeiten und der magischen Kraft des gesprochenen Wortes – vorzüglich. Bayer ist eine der hiesigen Gästeführer*innen. Im originalgetreuen Gewand einer gemeinen Bürgerin des mittelalterlichen Burghausens geleitet sie uns – ebenso fröhlich wie fachkundig fabulierend – von Station zu Station.

Los geht die Stadtführung in Burghausen an der Tourist-Info. Ein paar Schritte gen Westen und wir stehen an der Ostküste Spaniens, im Süden Kataloniens, in der Stadt Reus, um genau zu sein. Nun ja, um ehrlich zu sein, statten wir „Frau Schreck“ einen Besuch ab, einer schnuckligen Aperitifbar, in der uns die Inhaberin ein Gläschen Wermut kredenzt, an dem wir ehrfurchtsvoll nippen, nachdem Anke Schreck uns über die Herkunft des edlen Tropfens – eben jenes Reus – und Melanie Bayer über den verflossenen Ruhm jener Stadt aufgeklärt hat. Die Geburststätte von Antoni Gaudí, erfahren wir, wurde in einem Atemzug mit Metropolen wie London und Paris genannt, als sie noch eines der bedeutendsten Zentren der europäischen Schnapsproduktion bildete.

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Im 19. Jahrhundert schwang sich das Städtchen sogar zum Weltmarktführer der Wermut-Herstellung auf. Wermut, Vermouth oder auch Vermút sei mit dem Absinth verwandt (van Goghs Ohr kann ein Lied davon singen) und zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten, findet jedenfalls Frau Schreck, die dem „Kräuter-Wein“ zumindest in Burghausen wieder zu wohlverdienter Anerkennung verhilft. Ehe wir uns in Spanien festhocken, ruft Bayer zur Weiterreise. Schließlich blickt auch Burghausen auf nicht wenige Jahrhunderte des Ruhms zurück.

Wo die „Pfeffersäcke“ wohnten

An unzähligen architektonischen Zeugnissen spazieren wir mit wermutgewärmten Mägen vorbei. Bayer lenkt unsere Blicke nach Osten, in Richtung eines geradezu himmeblauen Gebäudes, das ein imposantes Wappen ziert. Es handelt sich um das ehemalige kurfürstliche Regierungsgebäude, erbaut im 16. Jahrhundert, nachdem der Salzachstadt 1505 eines von vier sogenannten Rentämtern zugesprochen worden war. Das späte Mittelalter entwickelte sich gerade auch für Burghausen zu einer sehr bewegenden Zeit. Nach der Wiedervereinigung Bayerns infolge des Landshuter Erbfolgekriegs sollte es steil bergauf gehen. Als Sinnbild für die kommende Blütezeit wurde eine Regierung eingesetzt, die zunächst oben in der Burg saß, später aber in das besagte Gebäude umzog.

Den Bogen zur Kulinarik schlägt Bayer mit spielerischer Leichtigkeit. So gingen, erzählt sie, viele politischen Weichenstellungen jener Zeit auf die legendäre Landshuter Hochzeit im Jahr 1475 zurück, als sich Hedwig, die Tochter König Kasimirs IV. von Polen und seiner Gemahlin Elisabeth von Habsburg, mit Georg dem Reichen vermählte, Sohn des Landshuter Herzogs Ludwig IX. Wegen ihrer geopolitischen sowie dynastischen Strahlkraft wurden die achttägigen Feierlichkeiten und ihre Auswüchse ausführlich dokumentiert.

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Und so kann uns Bayer anschaulich vor Augen führen, in welch unvorstellbaren Maßen damals gevöllt wurde. Wenn die Chronisten nicht flunkern, wurden unter anderem rund 323 Ochsen, 200.000 Eier, 40.000 Hühner und 75.000 Krebse aufgetischt, gewürzt mit eineinhalb Zentnern Safran und 338 Pfund Pfeffer. Das hat selbst für die „reichen“ Wittelsbacher ein Vermögen gekostet, erkleckliche Mitgift hin oder her. Gewürze waren es übrigens auch, die den Reichtum Burghausens mitbegründeten.

Darf auf keiner Stadtführung durch Burghausen fehlen: Jazz und Handwerk in der Grüben

Während wir vom erhabenen Stadtplatz hinuntersteigen in die „Grüben“ (jene mittelalterliche Handwerkergasse, die heute als autoverkehrsbefreite Flaniermeile firmiert), erschließt sich sofort, dass da oben, in sicherer Entferung von der nur all zu oft über die Ufer tretenden Salzach, ausschließlich die Wohlhabenden wohnten, vom Fußvolk abschätzig „Pfeffersäcke“ genannt. Den Pfeffer nämlich konnten sich nur die Reichen leisten. Die scheffelten ihr Geld mithilfe des Salzes, das von Hallein in Tirol über die Salzach herangeschifft und erst ab Burghausen auf Wagen verladen und auf dem Landweg weiter ins Bayernland transportiert werden durfte.

Während sie uns durch die Grüben führt, trainieren wir auf Anraten Bayers unsere Nackenmuskulatur. Gilt es hier, den Blick nach unten zu richten, um eine der in den Boden eingelassenen Bronzeplatten zu bewundern, die Namen, Unterschriften und Lebensdaten berühmter Musiker*innen der internationalen Burghauser Jazzwoche tragen, gilt es dort, so manche in erschreckender Höhe angebrachte Hochwassermarke zu erspähen. Für die einen Segen für die anderen Fluch, dieser Fluss!

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Segen für uns: Am Bichl, früher quasi der zweite Platz der Stadt, wo sich das gemeine Volk tummelte, kehren wir ins nach dem Ort benannte Café ein, um die heutige Vorspeise zu genießen. Mit Morbier überbackener Chicorée, dazu ein köstliches Couscous. Selbstverständlich weiß Bayer alles über die Brüsseler Herkunft sowie den Nährstoffgehalt des zartbitteren Gemüses, über die Besonderheiten der französischen Käsesorte (Ascheschicht!) sowie über die herzerwärmende Legende vom Couscous als Tränen der Engel, die hungernde Berber*innen nähren sollten.

Wohlgenährt stiefeln wir weiter. Das Restaurant 271 wartet, wo Inhaber und Küchenchef Dominik Lobentanzer schon die Kürbis-Ravioli mit Saibling und Flusskrebs (beziehungsweise mit Puntarelle für die Vegetarier) vorbereitet. Der Guide Michelin bescheinigt dem Restaurant eine „ambitionierte moderne Küche, die sich ganz auf ausgezeichnete Produkte fokussiert“. Zum Glück weiß uns Bayer auf dem Weg dorthin durch ebenso romantische wie geschichtsträchtige Gässchen zu geleiten, andernfalls würden wir – den erwarteten Hochgenuss vor Augen – einen Zahn zulegen und auf direktem Wege an die festliche Tafel flitzen.

Eiserne Satire in der Messerzeile

Doch allein die entzückende Messerzeile, in der früher Schlosser und Kunsthandwerker wohnten (wovon heutzutage noch ein ebenso kunstvolles wie satirisch verziertes Eisentor zeugt), ist jeden Umweg wert. Und das gilt für die gesamte Stadtführung „Kulinarische Zeitreise“, die wir weit, weit im Osten Europas ausklingen lassen. Das Strizzi serviert levantisch angehauchte Gerichte und verzaubert uns mit einem raffinierten, veganen Nachtisch. Da geben wir den buchstäblich gereichten, goldenen Löffel ungern wieder ab.

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Info/Buchung

Die Stadtführung „Kulinarische Zeitreise“ in Burghausen kann für Gruppen zu individuellen Terminen gebucht werden. Die nächsten öffentlichen Gästeführungen mit Viergangmenü finden jeweils samstags, 20. April und 9. November, um 16:30 Uhr statt. Dauer: ca. drei Stunden.

Anmeldung bei der Burghauser Touristik per E-Mail unter info@visit-burghausen.com oder Tel. +49 8677 887140.