Liebe Leser*innen,  

in den nächsten Tagen muss ich eine Anzug zur Änderungsschneiderei bringen! Der hängt – bis dato ungetragen – im Schrank; gekauft vor fast drei Jahren für eine Hochzeit, die nie im ursprünglich geplanten Rahmen stattfinden konnte. Sie wissen schon, eine gewisse Pandemie hat viele Pläne platzen lassen. 

In diesem Sommer nun, in dem wir so tun, als sei niemals etwas gewesen und jede Bedrohung aus und vorbei, werden verschobene Feierlichkeiten nachgeholt und neue durchgezogen. Partytime! Während die Schneiderin meine Anzughose also um den obligatorischen Zentimeter kürzt, laufen ringsherum die Vorbereitungen. Und ich frage mich, ob ich mich in den Monaten des Innehaltens zu einem verschrobenen Boomer entwickelt habe oder sich etwas auf ungesunde Art verschiebt. „War das schon immer so?“, frage ich mich. „Muss das sein? Sollten die Prioritäten nicht ganz woanders liegen?“ 

Ich spreche von diesem Aktionismus, den zum Beispiel Trauzeug*innen oft an den Tag legen. 

Dem Brautpaar ein paar organisatorische Handgriffe abzunehmen, ist natürlich lobenswert. Gäste aber schon Monate vor dem freudigen Ereignis mit zeitraubenden Aufgaben zu malträtieren, finde ich übers Ziel hinausgeschossen. Es gilt, an unzähligen Abenden Choreografien von Flashmobs einzustudieren (muss schließlich instagramable sein, so ein Ja-Wort); für die Hochzeits-Zeitung müssen Fotoshootings absolviert und in Alexandriner-Versen verfasste Epen abgeliefert werden; halbstündlich soll sich die Hochzeitsgesellschaft an artistischen, zumindest humoristischen Einlagen ergötzen; achja, und die unterschiedlichen Freundes- und Verwandtschaftskreise mögen sich an jeweilige Dresscodes halten, weil – siehe Instagram.

Herrjeh, ernsthaft: Wenn Sie an eine Hochzeit (respektive Geburtstagsparty, Wohnungseinweihung etc.) zurückdenken, was waren da die rührenden, die tiefgreifenden, die erinnernswerten Momente? Ich behaupte: die ungeplanten, die emotionalen, die zwischenmenschlichen, die sich nur ergeben, wenn man so ein Event nicht in ein streng vorgebenes Korsett quetscht. 

Dieser unbedingte Wille, möglichst repräsentativ zu feiern und alles Geschehen zu kontrollieren – das sorgt bei allen Beteiligten nur vordergründig für Erleichterung. In Wirlichkeit erzeugt es Stress und Druck. Niemand kommt doch, weil er oder sie beeindruckt werden will. Und Ihr lieben Helfer*innen: Auch Ihr müsst nichts beweisen. Ihr seid nicht als Zirkusdirektor*innen gebucht. Ihr (bleiben wir beim Beispiel Hochzeit) dürft bezeugen,  dass sich zwei Menschen so sehr lieben, dass sie diesen Bund eingehen. Diese zwei Menschen haben Euch so lieb, dass Ihr Ihnen dabei Mut zusprechen, an Ihrer Seite stehen, den Augenblick aus nächster  Nähe teilen dürft. Wie wunderbar! Niemand muss darüber hinaus etwas beweisen. Schon gleich gar nicht sollte man sich selbst verwirklichen wollen. 

Genießen wir doch einfach den Anlass. Keine Ahnung, was bei der letzten Hochzeit auf der Speisekarte stand und ob jemand als Showeinlage mit Schuhen jongliert hat (schwarz, wehe rot, haha) – aber die Worte, mit denen die Braut mir beim Tanzen mit Freudentränen auf den Wangen ihr Glück beschrieben hat, die werde ich nie vergessen.“