Kultur braucht Raum. Menschen brauchen Raum. Und Kultur und Menschen brauchen einander. In Rosenheim finden sie dank einer unkomplizierten Kooperation der Bürgerstiftung pop-up-artig in einem Kulturzentrum zusammen.

Der Anblick ist das eine. Leerstände lassen Innenstädte verwaist aussehen, ungastlich. Zugeklebte Schaufenster, vernagelte Eingänge – mit ein bisschen Fantasie kann eine von Geschäftsaufgaben heimgesuchte Fußgängerzone fast schon postapokalyptisch anmuten. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die dringend Raum suchen – und wir sprechen dabei noch gar nicht von Wohnraum, dessen Knappheit auf einem anderen, noch dringlicheren Papier steht. An dieser Stelle soll es jedoch nicht darum gehen, über das Phänomen des Leerstands zu lamentieren, Gründe zu erörtern, in der Wunde zu bohren oder gar Eigentümer*innen und Kommunen die Leviten zu lesen.

Auch spannend: Es lebe der Größenwahn im Künstlerhaus in Bad Aibling

Kreatives Miteinander im Kulturzentrum der Bürgerstiftung Rosenheim

Ganz im Gegenteil: Der Blick soll sich auf ein positives Beispiel richten, das zeigt, wie ein Leerstand (und sei es auch nur vorübergehend) clever genutzt werden kann; so bespielt, dass man vielen, vielen Menschen einen Mehrwert bietet – ohne gleich an Konsum zu denken; wie ein kreatives Miteinander entstehen kann und so gleichzeitig ein Quartier aufgewertet wird; wie gemeinschaftsstiftende Projekte eine Heimstatt finden können; wie dabei nicht zuletzt ein Gebäude vor dem Verfall gerettet wird.

In Rosenheim hat sich eine Eigentümergemeinschaft dazu mit der „Bürgerstiftung Rosenheim“ für ein eine Art Kulturzentrum zusammengetan.

Nach der Geschäftsaufgabe einer Druckerei hatten Erstere freie Räumlichkeiten, Letztere suchten Platz für die vielfältigen Projekte, die das engagierte Netzwerk regelmäßig ersinnt – und nun deutlich leichter verwirklichen kann. Denn: Was nützt es, wenn Kreative tolle Ideen haben, sie sogar (zum Beispiel mithilfe der Bürgerstiftung) eine Finanzierung auf die Beine gestellt bekommen – doch dann platzt der Traum mangels Raum?

<

Co-Working-Space in der Königstraße 7b

Eine Art „Dritter Ort“ ist also in der Königstraße 7b entstanden, in einem Gässchen, das zwei Hauptverkehrsadern der Stadt verbindet. Und das passt hervorragend, denn „Verbindungen schaffen“, das gehört quasi zum Kerngeschäft von Christian Hlatky, dem Stiftungsvorstand um Almuth Aicher sowie den Organisationen, Initiativen und Bürger*innen, die entsprechende Projekte zum Wohle der Gemeinschaft in die Tat umsetzen. Im ersten, zur Straße hin liegenden Raum hat sich Hlatky als Regisseur des Treffs einquartiert. Sitznachbar*innen sind herzlich willkommen.

Das Büro will er als Co-Working-Space verstanden wissen, vor allem für Netzwerkpartner*innen. Doch die eigentliche Musik spielt hinten, in den anschließenden Räumlichkeiten, in denen schon im ersten Jahr ein munteres Kulturzentrum mitsamt eigener, kleiner „Bar“ entstanden ist. Die dient – wie alles, je nach aktuellen Beschränkungen – als After-Work-Treffpunkt sowie als Verköstigungsstation während Veranstaltungen. Kino, Konzerte, Lesungen, Theater, Workshops, Malkurse – „alles, was mit Kultur zu tun hat, kann bei uns stattfinden“, sagt Hltaky. Und spricht damit explizit eine Einladung sowohl an Kulturschaffende wie auch an engagierte Bürger*innen mit kreativen Ideen aus, sich an ihn zu wenden, wenn sie Unterstützung für ihre Pläne benötigen.

<

Der Kulturclub Rosenheim, das Junge Theater, Bands, eine Handysprechstunde für Senior*innen oder der offene, vor allem interkulturelle Tanztreff unter Leitung von „High Knee“, dem Rosenheimer Sozialpädagogen Christian Anetsberger, bringen unter anderem regelmäßig Leben in die Bude. Der Tanztrupp schwitzt übrigens unter dem Dach eines Projekts, das Hlatky besonders am Herzen liegt. Die vorausgehende Frage lautete: „Wie wächst eine Stadt eigentlich zusammen?“ Damit einhergehend: Warum entzweien sich Gesellschaften und wie lässt sich das verhindern?

Vielfaltsgestalter für eine lebenswerte Umgebung

Die vorhandene Vielfalt lässt sich ja nicht verhindern. In einer Stadt wie Rosenheim leben Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, aus den unterschiedlichsten Ländern der Welt, mit und ohne Behinderung, aus sämtlichen sozialen Schichten, mit manchmal entgegengesetzten Lebensentwürfen und kunterbunten (sexuellen) Identitäten. Ein Sammelsurium, das die Gesellschaft vor Herausforderung stellen kann. „Was aber alle vereint“, betont Hltaky, „ist die Tatsache, dass sie in einer lebenswerten Umgebung wohnen wollen, wo etwas geboten ist – und zwar für jeden Geschmack.“ So sind die „Vielfaltsgestalter Rosenheim“ entstanden. Das Ziel: Gemeinschaft in der Vielfalt zu stiften. Ergebnisse lassen sich gerade im Besprechungsraum des Treffs bewundern.

Im montäglichen Malkurs hat Rameen, ein 16-jähriger Jugendlicher aus Afghanistan, eindrückliche Bilder gemalt. Sie zieren die Wände der „Galerie“. Wie lange das „Pop-up-Kulturzentrum“ hier bleiben kann, ist ungewiss. Klar ist, dass es als leuchtendes Bei-spiel und Inspiration dienen kann. Leerstände werden auch künftig nicht wie von Zauberhand verschwinden. Auf diese Weise verlieren sie ihre Traurigkeit.