Thomas Bungardt leitet mit Humor, Herzlichkeit und viel Gespür die Geschicke der Mode-Marke „LIEBLINGSSTÜCK“. Ein Besuch in der Firmenzentrale.

Fotos: Andreas Jacob

„Sport ist Mord.“ Im vermeintlichen Original: „No sports!“. Ein Zitat, das Bewegungsmuffel gerne Winston Churchill unterjubeln. Gesagt hat das der legendäre Britische Premierminister freilich nie. Jedenfalls findet sich keinerlei seriöse englischsprachige Quelle für das Bonmot. Stattdessen existieren reihenweise Belege für die außerordentliche Fitness des jungen Churchill, der sich erst in späten Jahren zu jenem wohlbeleibten, dem Whiskey und Zigarren zugeneigten Staatsmann entwickelte, den man hierzulande von Bildern kennt. Und damit von Großbritannien herüber nach Bayern, ins schöne Rosenheim.

Lieblingsstück residiert im „Bauer in der Au“

Da thront am südlichen Stadtrand, mitten im Grünen, das doppelgebäudige Domizil der Modemarke „Lieblingsstück“. Ein im- posantes Ensemble, dessen Geschichte bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht, wo die Hofstelle erstmals im „Codex Falkensteinensis“ – dem einzigen, vollständig erhalten weltlichen Besitzverzeichnis jener Zeit – Erwähnung findet. Jüngere Semester kennen den „Bauer in der Au“ vor allem als Baudenkmal, auf das man viele Jahre aus dem Auto heraus einen kurzen, wehmütigen Blick warf, wenn man von der B15 kommend auf die Miesbacher Straße in Richtung Bad Endorf abgebogen war und im richtigen Moment – kurz nach der Kuppel der Bahnbrücke – nach rechts guckte. Da stand er, dieser dornröschenmüde Itakerhof, der seit 1991 nicht mehr bewohnt, geschweige denn bewirtschaftet wurde, und zerfiel.

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Ob es göttliche Fügung, eine weise Einsicht oder profaner Geldmangel war, der das Erzbischöfliche Ordinariat München-Freising als damaligen Eigentümer schließlich zum Verkauf bewegte, ist Lieblingsstück-Chef Thomas Bungardt im Nachhinein völlig wurst. Er weiß nur, dass sein ursprünglich in Aschau im Chiemgau beheimateter Firmensitz aus allen Nähten platzte (um im Redensarten-Jargon zu bleiben), als das Schicksal zuschlug: „Der Ort hier hat uns gefunden“, sagt Bungardt, während er aus dem auf grandiose Weise kernsanierten Verwaltungsgebäude (dem früheren Wohnhaus) hinüber in die Kreativzentrale (ein mit seinen Beton-, Holz-, Stahl- und Glaselementen eindrucksvoll kontrastierender Neubau) humpelt.

Streng genommen war es das Rosenheimer Immobilienunternehmen Beck & Fraundienst, das Schicksal spielte, als es sich im Jahr 2016 der Revitalisierung des Ensembles annahm, um es drei Jahre später – nach einer architektonischen wie handwerklichen Glanzleistung – an „Lieblingsstück“ zu vermieten. Entscheidend ist: Man muss so eine Gelegenheit erstmal beim Schopfe packen – und Bungardt hat beherzt zugepackt! Ein Zauderer war er nie, wie sein Werdegang beweist, der ihn zunächst dem älteren Bruder nacheifern ließ. Der war Zentraleinkäufer bei einem bekannten Düsseldorfer Modeunternehmen und inspirierte Bungardt dazu, die Ausbildung zum Handelsfachwirt zu absolvieren. 

Nach zehn Jahren Bungardt 80 Mitarbeiter*innen an Bord

Späte Pointe: Während jener Bruder inzwischen in die Lebensmittelbranche abgewandert ist, hat es der jüngere Bungardt ganz nach oben in der Mode geschafft. Was er selbst so nicht sagen würde, bescheiden und bodenständig wie er sich gibt. Ganz und gar nicht staatstragend, Einstecktuch hin oder her. Doch die Realität spricht halt eine eindeutige Sprache, und die besagt: Als Bungardt zur Aschauer „SLT GmbH Service & Logistik für Textilien“ stieß (wie das Unternehmen hinter der Marke Lieblingsstück etwas ungelenk heißt), war es eine kleine Firma, mit einer Handvoll Mitarbeiter*innen, die für Einkauf und Vertrieb ihrer Eigenmarken durch die Welt jetteten. Das lief zwar gar nicht so übel, wurde aber zusehends teuer und etwas unzeitgemäß.

Foto: Lieblingsstück

Als sich der damalige Inhaber zurückzog, schlug Bungardts Stunde. (Thema Gelegenheit beim Schopfe packen, wir kennen das Prinzip.) 2011 verabschiedet er sich vom alten Geschäftsmodell und ruft „Lieblingsstück“ ins Leben. Die Idee: lässige, emotio- nalisierte (Strick-)Mode für Frauen machen, mit eigener, unverkennbarer Handschrift und generationenübergreifend be-geisterungsfähig. Dass es funktioniert, sieht man gut in den eigenen Stores, wo tatsächlich Töchter und Mütter gemeinsam in den Stoffen schwelgen.

Anekdote am Rande: Für die erste Kollektion war „die Christl“ (O-Ton Bungardt) zuständig. Die war frisch von der Schule gekommen, trug also den sprichwörtlichen Grünstich hinter den Ohren. Für namhafte Designer war halt keine Kohle da. Die Dame hat offensichtlich einen ganz anständigen Job gemacht. Heute ist Christiane Mayr Chefdesignerin und zusammen mit Ehepaar Bungardt für zwölf ebenso detailverliebte wie farbenfrohe Kollektionen pro Jahr zuständig. Neben diesem kreativen Triumvirat ar- beiten inzwischen rund 80 Mitarbeiter*innen am neuen Standort. Und damit wird das Wort „Erfolgsgeschichte“ ja wohl erlaubt sein, bei aller Bescheidenheit!

Regelmäßig „Grill-and-Chill“ in der Firmenzentrale

Na gut, nickt Bungardt – nur mit dem „Sie“ möge man bitte aufhören! „Wir reden nicht geschwollen daher“, betont er, der Thomas, was einen Teil der Firmenkultur darstellt. Zu der gehören neben der erwähnten Bodenständigkeit Werte wie Emotionalität, Authentizität und Simplizität. Und das sagt der nahbare Chef nicht nur vor Gästen, das ist zu spüren. Es herrscht eine familiäre Atmosphäre. Lächelnde Menschen huschen treppauf und treppab, grüßen, quatschen; in Thomas‘ Büro (die Tür steht sperrangelweit offen) hat es sich der vierjährige Sohn bequem gemacht und schmökert in einem Bilderbuch; unten, im gewölbeartigen Foyer, sitzen drei junge Frauen beieinander und machen Brotzeit; Freitagabends werfen sie manchmal den Grill an, erzählen sie – kurzum: es herrscht buchstäblich „eitel Sonnenschein“. „Wir haben das Glück, in einer Branche zu arbeiten, die mit Farben, Formen und Emotionen spielen darf, das muss sich doch im Miteinander und im Umfeld widerspiegeln“, sagt Thomas.

Apropos widerspiegeln: Wenn die Sonne auf das Dach des Verbindungsgangs zwischen den beiden Bauten strahlt, zeichnet sich als Lichtreflektion das Lieblingsstück-Logo auf dem Betonboden ab. Das sei so nicht geplant gewesen, aber doch ein schöner Zufall, erklärt Thomas selig lächelnd, während Familienpudel Schröder frischforsch vorausspaziert. Herrchen hat eine Knie-Op hinter sich – was uns zur eingangs erwähnten Redewendung zurückbringt, in der (wer auch immer sie in die Welt gesetzt hat) sehr wohl ein Fünkchen Wahrheit steckt: Zumindest zu viel Sport kann durchaus Schaden hervorrufen, Thomas‘ knarzendes Knie ist der Beweis.

Noch mehr Mode: Der Macher von Gottseidank

Jahrzehnte auf dem Hockeyfeld haben ihren Tribut gefordert. (Und wer sich spätestens jetzt fragt, was die Salven aus Sprichwörtern sollen, hat sich noch nie eingehend mit dem Unternehmer unterhalten, der Kindheit und Jugend in Essen, im Herzen Nordrhein-Westfalens, verbracht hat. Wo man, betont Thomas, zumindest im Süden die Wäsche durchaus im Freien aufhängen kann, ohne dass sie schwarz wird. „Viel Grün“, schwärmt der „Meister der geflügelten Worte“. Was unbedingt wertfrei zu verstehen und einzig der schier unerschöpflichen Fülle an Redensarten geschuldet ist, mit der Thomas seinen Ausführungen entweder Würze oder Kürze zu verleihen pflegt.)

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Selbsternannter „Saupreuße“

In die erste Kategorie fällt es sicherlich, wenn sich der 55-Jährige grinsend als „Saupreuße“ bezeichnet. Begründung: „Ich bin nicht nur nach Bayern gekommen – ich bin geblieben und habe obendrein eine Frau von hier geheiratet.“ Dass die mit im Unternehmen arbeitet, schade der familiären Eintracht kein bisschen. „Schnaps ist Schnaps und Bier ist Bier.“ Was Thomas damit meint: Herausforderungen, Probleme, Krisen, das bleibt alles im Büro. Und die eine oder andere Krise galt es zuletzt ja durchaus zu meistern, Stichwort Pandemie, Stichwort russischer Angriffskrieg. Das alles hat auch die Modebranche hart getroffen. Geschlossene Läden, wegbrechende Transportwege, einbrechender Dollarkurs; andererseits: „Wer den Meeresgrund kennt, braucht sich vor Pfützen nicht zu fürchten!“

Es zeigt sich: Mag das Knie auch schmerzen, das Kämpferherz schlägt wacker! Ach was, Kampf. „Wir lieben es, Dinge herzustellen, die andere Menschen schöner machen“, sagt Thomas und sieht sich zufrieden im Showroom um. Der ist von Sonnenschein geflutet und aktuell mit sommerlichen Kleidern bestückt. Ein Lieblingsstück neben dem anderen. Luftig, verspielt, fröhlich, farbenfroh, hängen sie inmitten dieser schnörkellosen Welt aus Sichtbeton, Lärchenholz, Stahl- und Glas. Was Thomas vorhin über Rosenheim und den Chiemgau gesagt hat, man möchte es fast auch über sein Unternehmen sagen: „Der liebe Gott hat offenbar ein paar gute Tage gehabt, als er das schuf.“

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