Florian Rauscheder aus Kraiburg konserviert die Geschichte, indem er Oldtimer scheinbar unrestauriert auf die Straße schickt.

Die erste große Liebe, das erste eigene Auto. Beide wohl: unvergessen. Und heute, so ist es halt, meist dennoch nicht mehr an unserer Seite. Vier Jahre hält in Deutschland die durchschnittliche Beziehung von Liebespaaren. Was auch der Zeitspanne entspricht, in der Durchschnittsdeutsche ihrem Auto die Treue halten. Dann beginnt die Arbeit. Und wer will die schon? Nun: Florian Rauscheder!

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Und nicht nur das. Er hat ein Faible für jene Autos, für die mal das eine oder andere Herz heftig geschlagen haben mag – die dann aber, auch so ist es halt, aufgegeben wurden. Doch anstatt sie wie andere Oldtimer-Fans fürs neue Glück aufzupolieren, macht der 38 Jahre alte Postler es ganz anders: Flo frönt den Eigenheiten und Alterserscheinungen seiner Fundstücke. Er kultiviert, dass die Zeit Spuren hinterlässt. Wenn der Rost einen Teil der Karosserie in die ewigen Jagdgründe geschickt hat, dann holt der Flo ein Ersatzteil, baut’s wieder dran – und malt dann den Rost von Hand nach. Exakt an der Stelle, wo trotz Rost ehedem noch Halt war. Warum er das tut?

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Die Werkstatt ist sein Happy Place

Das ist die Frage, die uns in seine Werkstatt in einen Hinterhof in Kraiburg treibt. Daraus dudelt Musik, ein bisschen Bob Dylan, ein bisschen Hans Söllner. Drinnen steht Flo und sein Lächeln wird über die Zeit unseres Gesprächs nur links und rechts vom roten Rauschebart gestoppt. Überhaupt ist kaum vorstellbar, dass der Schraubersonnenschein mal so richtig mürrisch dreinschaut. Zumindest nicht hier, in dieser Werkstatt. Ein Happy Place, in der der Herrgott das Chaos überblickt.

Drei Seecontainer voller Ersatzteile aller Jahrzehnte und Modelle haben Flo und sein Bruder Markus angehäuft. Sein aktuelles Projekt, einem 1200 Käfer aus den 50er Jahren, führt dem Flo mehr denn je vor Augen, wie die Jahre ins Land gehen. In seiner Kindheit stolperte er im Wald bei Unterreit zwischen Wasserburg und Kraiburg über die rund 50 Jahre alte vermeintliche Schrottkiste. Heute hängt der Käfer hier auf der Hebebühne wie ein Ausstellungsstück im Museum für Moderne Kunst.

„Wir haben das Auto immer wieder besucht und Fotos gemacht, um zu dokumentieren, wie der Verfall stattfindet“, erzählt er. Oder wie noch intakte Teile über die Jahre gelegentlicher Zerstörungswut zum Opfer fielen. Freund Max selbst kritzelte damals noch seinen Namen ins Blech. Die fixe Idee zündete, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Was geschah. Nicht etwa, um aus der Rostlaube einen schnieken Oldtimer zu zaubern. Denn auch heute noch, nach 3 Jahren Arbeit, sagt Flo: „Bei dem Auto macht eine normale Restauration keinen Sinn. Von dem Auto würde nix übrig bleiben.“ Sprich: Wär’ der ganze Rost weg, wär’ auch der Waldkäfer weg. Was aber ginge, da war sich der Schrauber sicher, ein paar Jahre „reinklotzen“ – und dann fährt der Käfer wieder.

Schrottreife Oldtimer macht Florian Rauscheder in Kraiburg wieder fahrbereit

Der Waldkäfer wird also nach Jahren der Bastelei immer noch das Auto sein, das mehr als offensichtlich 50 Jahre im Wald rumstand. Vermoost, verrostet, verbeult. Dass das halbe Auto schon verrottet war, wird allerdings keiner wissen. Womit wir einen Teil der Antwort auf die Frage nach Flos „Warum“ gefunden haben. In der Jugend hatte der Sammler „nicht die Kohle, 20 Autos zu sanieren“ und lernte, wie man erst Mopeds, dann schrottreife Oldtimer fahrtüchtig bekommt. Heute ist er überdies gut darin, die Geschichte seiner Autos unter dem Einsatz einiger Mittel zu konservieren. Bis zur eigens entwickelten Rost-Tinktur. Auch dutzende der anderen Autos, die der Flo und sein Bruder in der Reiß‘n haben, sind im Sommer auf unseren Straßen unterwegs.

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Nicht selten entpuppt sich das, worin selbst Experten auf den ersten Blick nicht weit mehr als einen Haufen ungepflegtes Blech erkennen können, als historische Rarität. Fahrwerk, Unterboden, Achse und Motor sind bei Waldkäfer und Co. neu. Da kann der TÜV nicht groß meckern. Doch weitaus mehr Zeit investiert Flo in die Jagd. Nach Dingen wie einer Metall-Einfassung für die heiß begehrten original Fensterscheiben des Dickholmer-Mai-Käfers aus der Baureihe 1953 bis 1955 zum Beispiel. Bitte nicht zu neuwertig! Damit zum zweiten Teil der Antwort auf die Frage, warum sich einer derart viel Arbeit macht: Flo hat die Schnauze voll von Wegwerfprodukten. Solchen wie heutigen Neuwagen. „Dass funktionierende Materialien einfach weggeworfen werden, das können wir auf lange Sicht nicht durchziehen. Ich glaube, irgendwann: Ende des Planeten.“

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Fahrende Geschichten

Seine lost cars findet Flo in Schuppen und Erzählungen. Bis auf ein Auto aus Schweden sind seine Autos alle von hier, aus der Gegend. Ihre Geschichte schlummert in den Köpfen der Nachbarschaft, bis der Flo sie wieder ausbuddelt. Ein Pfarrer soll damals hinterm Steuer des Waldkäfers gesessen sein. Ein echt schickes Gefährt mit Faltdach und Wasserburger Kennzeichen war das. Saß er auch in dem Moment hinterm Steuer, in dem das Auto übers Dach ging? Das weiß dann wieder keiner so genau. Doch die Schwester vom Pfarrer, die hatte ganz sicher ein Fotogeschäft in Trostberg. Die Schrauber fanden in der illegalen Müllgrube, in der der Käfer nach seinem Unfall landete, auch jede Menge Fotountensilien. Und: Als der Unfall damals passierte, war das rechte Fenster offen. So ging dessen Scheibe, als einzige, bis heute nicht zu Bruch.

Wer weitere Details zur Geschichte beitragen kann, der kann Flo auf Instagram schreiben. Er wird sich sicher Zeit dafür nehmen.„Ich habe vielleicht ein andere Auffassung, was das Thema Wertschätzung angeht“, wirft er uns beim Werkeln zu, „aber warum soll man nicht erhalten, was zu erhalten ist?