Sandra Freudenberg und Tom Dauer teilen ihre Berg-Film-Liebe mit einem breiten Publikum zwischen Bozen und Kiel.

Fotos: Andreas Jacob

Besonders lang kannten sich Sandra und Tom noch nicht, als er sie mitnahm zu ihrer ersten gemeinsamen Klettertour in die Berge. Der Zustieg zum Osterfelderkopf oberhalb von Garmisch war nicht sonderlich schwer, die Sandra ja sehr sportlich. Was sollte schon schiefgehen? Als aber seine Freundin auf der Hälfte der 15-Seillängen-Tour über die Nordwand plötzlich nicht mehr weiterkonnte, musste er ihr eröffnen, dass es keinen Weg nach unten und keinen Seitenausstieg gab – nur ein Weiter-bis-ganz-nach-oben. „Ich hab‘ so geweint“, erinnert sich Sandra. Aber dann sei das passiert, „was immer passiert, was bis heute jedes Mal passiert: Du kommst oben an, Tom packt die Brote aus. Du isst das Leberwurstbrot deines Lebens. Nie hat es besser geschmeckt und der einzige Gedanke gilt der nächsten Klettertour!“

Sandra Freudenberg und Tom Dauer haben also gleich zu Beginn ihrer Beziehung die zwei wichtigsten Ziele im Alpinismus erreicht: Erstens sind sie von ihrer Expedition unversehrt zurückgekehrt und zweitens sind sie Freunde geblieben. „Kame- radschaftlichkeit“ nennt Sandra diese wichtige Tugend, die Alpinist*innen auf der ganzen Welt miteinander verbinde. Und Tom erklärt: „Diese Werte, für die die UNESCO 2019 den Alpinismus neben dem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur als Weltkulturerbe geadelt hat, Werte wie Toleranz, Respekt, Freundschaft, Vertrauen, die sind vordergründig nötig, um Erfolg zu haben, aber gerade im Scheitern noch viel wichtiger. Denn auch dann muss die Kameradschaft halten.“

Alpen Fim Festival, Klappe, die Dritte

Im Falle der Bergbuchautorin und Journalistin sowie des Alpinisten, Publizisten und Filmemachers hält sie seit zwanzig Jahren, ist ihre Seilschaft immer verlässlicher geworden. Ihr jüngstes „Baby“: Das Alpen Film Festival, das sich heuer zum dritten Mal jährt. Sohn Laurin dagegen ist schon 16 und hat die Bergleidenschaft seiner Eltern geerbt, lebt sie allerdings als Mountainbiker aus. Alle drei wohnen auf einem Einödbauernhof in Valley, nördlich vom Tegernsee, mit 14 alten Apfelbäumen vor dem Haus, umgeben von Wiesen und Wäldern. Jeden Tag wandert Sandra mit Vasco, ihrem Schäferhund-Dackel, von hier aus los, zum Taubenberg etwa, oder sie beobachtet ganz früh am Morgen Rehe, die gar nicht so schreckhaft seien, wie viele fälschlicherweise annähmen. Ansonsten verbringen beide viel Zeit in dem großen alten Hof an ihren Schreibtischen mit ihren jeweiligen (Dreh-) Buchprojekten.

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Tom, der sich mit Dokumentationen wie „Skitour ins Ungewisse“ oder die „Marmolata – Königin der Dolomiten“ einen Namen gemacht hat und dessen Kinofilm „Streif – One Hell of a Ride“ mit der ROMY, dem österreichischen Filmpreis, ausgezeichnet worden ist, jongliert derzeit mit mehreren Magazinbeiträgen sowie einem Filmportrait über Simon Messner. Ist das Wetter jedoch zu gut und die Bergsehnsucht zu groß, greift sich der 53-Jährige einen der Helme aus dem Regal und schultert seine Ausrüstung, die griff bereit mitten im Raum liegt. Von einer nur 50 Meter entfernten Anhöhe erschließt sich schon der Blick auf Wendelstein, Mangfallgebirge und Kampenwand. Der Ruf der Berge ist im Landkreis Miesbach ohne Zweifel besonders laut zu hören.

Sandra wiederum, die als Reporterin bei Antenne Bayern unterwegs war, bevor sie ihr Diplom als PR-Fachwirtin absolvierte, um in München erst in einer Wirtschaftsagentur nach oben zu kraxeln und dann eine Sport-PR-Agentur zu leiten, hat seit ihrer ersten Kooperation mit Tom „Hütten. Sehnsuchtsorte in den Alpen“ eine ganze Reihe von Bergbüchern geschrieben, in denen sie im Gegensatz zu Tom weniger den Fokus aufs Bergsteigen und Klettern legt, sondern mehr auf die Geschichte und Geschichten, die in den Bergen verborgen liegen.

Buch über die geheimen Hütten von König Ludwig II.

„Ich bin ein richtiger Wandervogel“, sagt die 52-Jährige. Ihre Oma habe sie schon als kleines Kind jeden Tag an die Hand ge- nommen und sich mit ihr die Geheimnisse der Natur in der heimatlichen Eifel erwandert. Der Liebe zu den Alpen ist das Mädchen dann aber mit zarten 15 Jahren verfallen. „Ich war auf einer Skifreizeit in Mittenwald“, erzählt Sandra, „und so restlos begeistert, dass ich meine Eltern überreden konnte, mein Abi an einem Internat in Garmisch machen zu dürfen.“ Heute habe sie auf ihren (Pilger-)Wanderungen vor allem eins verinnerlicht: Nur wer sich Zeit nimmt fürs Hinschauen und Hinhören, erfährt Neues und Unbekanntes.

So hat sie erst durch das Gespräch mit einem Almbauern, der ihr Unterschlupf vor einem Gewitter gewährte, von einer der geheimen Hütten König Ludwigs II. unterhalb der Schöttelkarspitze erfahren. Nach fünfjähriger Recherche im Geheimen Hausarchiv sowie unzähligen Gesprächen mit Einheimischen aus dem Tölzer Land kannte die Spurenleserin Ludwigs 14 Berghütten so gut, als hätte sie hier selbst Monate mit dem Pazifisten und Naturmenschen verbracht, um zu philosophieren – übrigens ein Fach, das sie mal studiert hat. Der Wittelsbacher hingegen habe lange vor der Erfindung des Begriffs wochenlange Workations in seinen Refugien gemacht und die tiefe Liebe zur Natur mit seinen königlichen Pflichten verbunden.

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Niedergeschrieben hat Freudenberg das Buch „In den Bergen lebt die Freiheit“ über die Zufluchtsorte Ludwigs II. zum großen Teil während der Corona-Pandemie. Tom wiederum, der schon in den patagonischen Anden, im Himalaya und im südasiatischen Karakorum geklettert ist und bis heute Erstbegehungen in den Alpenwänden realisiert, schrieb da gerade die Biographie „Kurt Albert – frei klettern, frei denken, frei leben“ über einen der Pioniere der Freikletterbewegung. „Wir sind beide so in unsere Buchwelten abgetaucht, dass sich beim Mittagessen Ludwig und Albert gegenübergesessen sind“, sagt Sandra und lacht. Dann muss sie aber das große Fernglas an die Augen setzen und in den Garten spähen. Die Rauchschwalben sind zurück. Wie schön! Doch was ist das für ein Vogel dort im Gezweig? Ein Dompfaffmännchen, da wird sich die Beobachterin im Laufe des Gesprächs immer sicherer. Die Corona-Zeit war es auch, in der Freudenberg und Dauer ihre Fähigkeiten (bei der ehemaligen Agenturchefin vor allem ein ausgeprägtes Talent für Organisation, Marketing und Finanzen, beim Drehbuchautor und Regisseur besonders die langjährige Expertise im Bergfilmbereich) zu einem weiteren Projekt ihrer eng geflochtenen Seilschaft bündelten.

2021 hoben sie das Alpen Film Festival aus der Taufe. Natürlich steht der Alpinismus im Zentrum des ALFF, doch eher als weltweit praktizierte Aktivität, denn als regionales Phänomen. So sind Filme vertreten, die in anderen Bergregionen spielen wie der Road Movie „Connecting Flights“ von Nicolas Brixle, in dem drei junge Männer mit ihren Gravelbikes durch den Balkan bis Griechenland radeln, um am Ende mit dem Gleitschirm vom Olymp zu segeln. Oder solche, in denen die Alpen zwar vorkom- men, in erster Linie aber als Leinwand, vor der sich menschliche Konflikte abspielen. Wie in „Neuzeit“ von Stefan Langthaler, in dem ein Vater auf einer zweitägigen Wanderung versucht, das Vertrauen seines homosexuellen Sohnes zu gewinnen. Das filmische Selbstportrait der Niederländerin und laut Tom „derzeit stärksten Alpinistin“ Line van den Berg „My Phantom“ zeigt indes, wie sich eine Frau in der Männerdomäne Bergklettern ihren eigenen Weg erkämpft.

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„Was wir zeigen, sind Filme, die in erster Linie von großer künstlerischer Qualität sind und unser Verständnis von Alpinismus transportieren“, erklärt Sandra, „die von Leidenschaft, Kameradschaft, Selbstlosigkeit handeln und der Freude am Draußensein. Es soll nicht um die Selbstdarstellung sportlicher Spitzenleistung gehen, nicht um die typische männliche Heldensaga.“ Sandra gerät in Fahrt, Tom wiegt den Kopf. Nun ja, die klassische Heldenreise sei ja durchaus ein wichtiger Topos im Bergfilm…

Vielleicht gerade, weil die zwei nicht immer einer Meinung sind und trefflich miteinander streiten können, ist dem Kurator und der Festivalleiterin ein so ergreifender Mix an Kurzfilmen mit 105 Minuten Gesamtspielzeit gelungen, wie er am 14. Mai im RIO PALAST in München Premiere gefeiert hat. 120 Stationen zwischen Bozen und Kiel (ja tatsächlich, dem Mythos Berg ist man auch an der Ostsee erlegen) werden im Laufe des Jahres folgen. Freilichtbühnen, Art-House-Kinos wie das Breitwandkino in Starnberg, Open-Air- Spielorte – das ALFF ist eine Art „Wanderfestival“ und bringt den Berg zwar nicht zu den Propheten, aber zu Bergfilmfreunden jeden Alters von Südtirol bis Norddeutschland.

Alle Termine für 2023 findest du auf der Festival-Website