Warum Kohl sexy ist und saisonales Essen so spannend wie eine Fernbeziehung.

Nein, was bei Lisa und Steffi von Farmmade im Garten wächst, das soll nicht nur schön aussehen. Es soll auch einen Nutzen bringen – am besten für den Menschen, der sät und erntet, für die Tiere, die von und mit den Pflanzen leben, und insgesamt fürs Ökosystem Garten. „Deswegen liebe ich essbare Hecken“, schwärmt Lisa, „die Brombeer-, Johannisbeer- und Himbeerhecken, die unserem Küchengarten Struktur geben, sind ein schöner und natürlicher Sichtschutz. Die Beeren schmecken toll. Aber auch Insekten wie Schmetterlinge finden hier eine wichtige Nahrungsquelle und unter den Sträuchern bietet sich kleinen Tieren wie dem Igel ein geschützter Lebensraum.“

Seit 2016 lassen die Schwestern Elisabeth Grindmayer (40) und Stephanie Haßelbeck (36) auf ihrem Blog www.farmmade.de Gleichgesinnte an ihrem Leben auf dem Land teilhaben. Hier führen sie ins Ernten und Kochen im Takt der Natur ein und dokumentieren in professionellen Bildern und humorvollen Texten den Versuch, sich so nachhaltig und autark wie möglich zu ernähren. Um den Schritt zurück zur Natur (und zu den eigenen Wurzeln) machen zu können, mussten beide Schwestern aber erst einmal ihren kleinen Heimatort in der oberbayerischen Provinz verlassen und in die weite Welt ausschwärmen. Nach längeren Stationen in München und Oslo, verschiedenen Auslandsaufenthalten und dem durchgetakteten Arbeitsleben in der Großstadt spürten beide, dass sie sich immer mehr nach der Freiheit ihrer Kindertage sehnten, nach einem Leben im Rhythmus der Jahreszeiten und danach, bewusst und selbstbestimmt zu kochen und zu essen.

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Fotos: Elisabeth Grindmayer

Seit einigen Jahren leben die Schwestern wieder in dem circa 20 Kilometer von München entfernten Bauernhaus umgeben von Feldern und Wäldern, in dem die insgesamt vier Geschwister eine Kindheit zwischen Büllerbü und den ständigen Pflichten eines Hoflebens verbrachten. Zur abgelegenen Hofgemeinschaft zählen heute die Eltern, ein Bruder mit seiner Familie, eine Hühner-Gang, einige Katzen, viele Pferde im Penisonsbetrieb, unzählige Schnecken und anderes Getier. Herzstück von Farmmade ist aber der weitläufige Obst- und Gemüsegarten mit den alten Nuss- und Obstbäumen, den vielen Hochbeeten – und den leckeren Hecken. Einen Ehrenplatz im Garten und im Herzen der Schwestern nimmt das Gewächshaus ein, das ihnen der Großvater zusammen mit der Liebe zur Natur und zum Gärtnern vermacht hat. Seine ursprünglichen Tomatensorten hegen und pflegen sie so gewissenhaft wie die alten Apfelbäume, unter denen der Rheinische Bohnapfel ihr Liebling ist. Er eigne sich als Cider-Saftapfel besonders gut. 700 Liter Apfelsaft im Jahr seien keine Seltenheit.

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Fotos: Farmmade

Vorfreude bei Farmmade auf krummes Gemüse und zarte Erbsensprossen

Bestimmte Dinge wie Olivenöl, Gewürze und Wein, oder auch mal Rind- oder Lammfleisch vom Biobetrieb eines Bekannten kaufen die Schwestern schon noch ein. „Aber der Wunsch, einmal zu 100 Prozent als Selbstversorger zu leben, der ist da“, sagt Steffi, „und wir kommen ihm immer näher.“ Ausschließlich das zu essen, was zu einer bestimmten Jahreszeit im eigenen Garten wächst, von Hand gesät und geerntet, oder was sich wild in Wald und Wiese sammeln lässt, das sei ähnlich reizvoll und spannend wie eine Fernbeziehung, es beschere „Highlights, wie man sie nicht kaufen kann“. Dazu zählten zum Beispiel die aromatischen Blüten des Rosmarins, die man eben nur ernten könne, wenn man die Pflanze in Ruhe austreiben lasse. Oder das wunderbar krumme Gemüse, das geschmacklich, aber auch optisch viel reizvoller als Konformgemüse sei, erklärt Lisa, die nebenbei als Food-Fotografin arbeitet und es wissen muss. „Rhabarber, Erdbeeren, Erbsensprossen, Bärlauch, Blutampfer, Brennnessel, Radieserl und natürlich Holunder…“ Steffi läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn sie an die Saisonlieblinge denkt, die sie und ihre Schwester im Mai und Juni ernten können.

Wie im zweiten Schritt aus den Zutaten (die bei Farmmade ohne künstlichen Dünger oder Pestizide, dafür in gut aufeinander abgestimmter Mischkultur wachsen dürfen) schmackhafte Gerichte wie Superfood-Brennnessel-Spätzle, Bärlauch-Scones oder Radieschengrün-Pesto werden, das haben Steffi und Lisa in ihrem ersten Buch zusammengefasst. Erschienen ist „Farmmade. Rezepte und Geschichten vom Leben auf dem Land“ Anfang März im Hölker-Verlag. „Es wird sehr gut nachgefragt“, freut sich Steffi. „Die Themen Landleben, Küchengarten, Hühnerhaltung, Saisonalität und Haltbarmachen liegen in einer Zeit, in der die Welt sich immer schneller dreht, voll im Trend“, beobachtet Lisa. Dabei sei in der Community nicht nur der abstrakte Wunsch nach Entschleunigung und weniger Druck spürbar, sondern echtes Interesse an einem nachhaltigeren Lebensstil. „Das merken wir vor allem an den konkreten Nachfragen, die uns über den Blog oder Instagram erreichen“, ergänzt die jüngere Schwester, „da werden wir etwa gefragt, wo genau man denn die Zutaten herbekommt, oder lesen, dass die Follower gleich selbst in den Wald zum Bärlauch pflücken gehen wollen.“

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Fotos: Elisabeth Grindmayer

„Auch Kohl kann sexy sein.“

Die Freundin, die erst wenig Begeisterung fürs Kochen gezeigt hatte, aber inzwischen emsig den eigenen, kleinen Gemüsegarten pflegt. Die Samen, die sich die Community ebenso fleißig hin und her schickt wie Tipps zum Gärtnern und Fermentieren. Die ein oder andere Flugananas, die die Schwestern vermieden haben. All dies sind kleine große Erfolge, die sie mit Farmmade erreicht haben. „Dabei geht es uns nicht darum, jemanden zu belehren. Natürlich zu kaufen und zu kochen, ist sehr aufwendig und kostet Zeit“, erklärt Steffi. „Wir wollen Inspirationen teilen und aufzeigen, dass es eben nicht immer die Avocado sein muss. Auch Kohl kann sexy sein.“

Farmmade, das mit einem kleinen Blog für Freunde und Familie gestartet ist und sich vom Hobby zum Lebensinhalt entwickelt, ähnelt dem Küchengarten der Schwestern: Es ist ständig dem Wandel unterworfen und wird niemals fertig. „So wie bei uns im Garten – sicher nicht gerade zur Freude unseres Großvaters – auch Unkraut wachsen darf, so probieren wir ständig etwas Neues aus und wenn etwas schief geht im Garten oder am Herd, dann lachen wir darüber. So ist eben die Natur“, sagt Lisa gelassen. Das nächste Projekt, das die Schwestern schon im Hochsommer starten wollen, sind Online-Workshops zum Thema Fermentieren. „Wir wollen zeigen, wie man mit traditionellen Methoden die Gartenernte haltbar machen kann.“ Das digitale Format sei nicht nur der Pandemie geschuldet, sondern mit dem Familienleben auf dem Hof auch besser vereinbar.

Jetzt geht’s aber erst einmal in den Garten: Die Gemüseanzucht aus dem Wohnzimmer will raus ins Freie, die Hecken brauchen einen frischen Schnitt, die Beete ihren Pferdemist-Mulch und Blumen wie Lupinen und Sonnenblumen wollen ausgesät sein. Lisa und Steffi sind sich einig: Sommer, Du kannst kommen.

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Elisabeth Grindmayer & Stephanie Haßelbeck
FARMMADE – REZEPTE & GESCHICHTEN VOM LEBEN AUF DEM LAND
Verlag: Hölker Verlag | Umfang: 208 Seiten, 4-fbg.
ISBN: 9783881172387
EUR 30,00 (Enthält 7% MwSt.)
www.farmmade.de