Urban Sketching: der stetig wachsende Trend begeistert Millionen Menschen weltweit. Nach genauer Beobachtung halten die Bilder – gezeichnet statt fotografiert – alltägliche Situationen fest.

Wer kennt es nicht? Ob in der Heimat oder auf Reisen – auf einmal wird der Blick geradezu magisch angezogen. Sei es ein historisches Gebäude, der neue 911er Carrera oder ein Fiaker, der auf Touristen wartet, um diese durch die Großstadt zu kutschieren – so ein Anblick muss festgehalten werden: für sich, Freunde oder Verwandte, Facebook oder Instagram. Schnell die Kamera oder das Smartphone gezückt – knips – und weiter geht‘s zur nächsten Sehenswürdigkeit. So weit so gut. Aber hat man dabei die wunderschönen Details der Stuckarbeiten und Fresken wahrgenommen? Oder den Straßenmusiker, der nur wenige Meter entfernt seine Lieder zum Besten gab? Was ist mit der Windböe, die die Mähnen der Pferde zerzauste? Oder dem kleinen Mädchen, das mit leuchtenden Augen und ausgestreckten Händchen auf die Vierbeiner zulief, dicht verfolgt von seiner besorgten Mutter?

Details wie diese, die vielen Menschen verborgen bleiben, machen die Zeichnungen der Urban Sketchers so besonders, so lebendig und einzigartig. Die Gegenbewegung zum schnellen Konsum besinnt sich auf den Augenblick. Die Künstler lassen sämtliche Sinneseindrücke der jeweiligen Situation auf sich wirken und in ihre Werke einfließen. Danach bleibt nicht nur ein Stück Papier mit einer Skizze darauf, sondern vielmehr eine Erinnerung an den jeweiligen Ort mit all seinen Geräuschen und Gerüchen, die Stimmung, Farben und das Leben, das sich in genau diesem Moment abspielt. Genau das ist es, was die Sketchers in ihren Werken darstellen wollen: Situationen des täglichen Lebens. „We show the world, one drawing at a time“ lautet das Motto der Gemeinschaft, zu deutsch „Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung“.

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Mittlerweile machen Tausende von Künstlern Urban Sketching

Vor etwa zwölf Jahren von einem spanischen Jounalisten in Seattle gegründet, umfasst die Urban-Sketcher-Bewegung mittlerweile Tausende von Künstlern weltweit. Davon wurden 100 besonders talentierte Maler ausgewählt, ihre Werke regelmäßig auf der internationalen Plattform urbansketchers.org zu präsentieren und die Welt durch ihre Augen zu zeigen. Voraussetzung ist die strikte Einhaltung des Manifests für Urban Sketchers, das unter anderem besagt, dass die Zeichnungen vor Ort nach direkter Beobachtung gefertigt werden müssen. Die in zahlreiche Sprachen übersetzte Orientierungshilfe verbindet die vielen einzelnen Gemeinschaften, die sich mithilfe sozialer Netzwerke gegenseitig unterstützen und austauschen.

Auch die himmeblau-Region wird regelmäßig porträtiert. Einmal im Monat treffen sich die Urban Sketchers Munich im Großraum München. Seit letztem Juni ist auch die Rosenheimerin Marion Schatz Mitglied in der Community. „Dank dieser Gruppe durfte ich schon viele interessante Orte kennenlernen, die ich sonst wahrscheinlich nie entdeckt hätte“, schwärmt die Hobbyzeichnerin. Faszinierend fand sie beispielsweise die Alte Utting, ein ausgedienter Ausflugsdampfer vom Ammersee, der nun auf einer stillgelegten Eisenbahnbrücke in Sendling als Gastronomiebetrieb fungiert und das ideale Motiv zum Malen abgibt. Die Treffen der Sketchers laufen immer ähnlich ab: Jeder sucht den für sich schönsten Platz zum Zeichnen, nach zweieinhalb Stunden trifft sich die Gemeinschaft wieder und die Werke werden besprochen und für die sozialen Netzwerke fotografiert. „Es macht Spaß, Gleichgesinnte kennenzulernen und sich auszutauschen“, findet Schatz.

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Als Urban Sketcher lernt man zeichnend die Welt kennen

Zum zehnjährigen Jubiläum des stets woanders stattfindenden Symposiums wird Schatz extra nach Amsterdam fahren. Im vergangenen Jahr versammelten sich rund 800 Urban Sketchers in Porto zum gemeinsamen Malen und Kennenlernen. Ein weiterer Grund, der Schatz am Urban Sketching so fasziniert: „Man bekommt immer wieder Anlässe, irgendwohin zu fahren.“ Ob zu einem Workshop von „Sketching-Papst“ Felix Scheinberger nach Berlin oder zu der großen Versammlung nach Amsterdam, als Urban Sketcher lernt man – wenn man möchte – zeichnend die Welt kennen.

Wie die meisten Urban Sketchers hat auch Marion Schatz fast immer und überall ihre Zeichenutensilien dabei: ein Skizzenbuch und einen kleinen Aquarellkasten, gerade groß genug, um in eine Hemdtasche zu passen. „Ich habe nur ganz selten gar nichts dabei“, sagt die Rosenheimerin und zieht einen Pinsel mit integriertem Wassertank aus einem Mäppchen. „Natürlich ist es schöner, mit einem richtigen Pinsel zu malen, aber für unterwegs ist es eine tolle Alternative“, findet Schatz.

Die Idee des Urban Sketching sei, alles so abzubilden, wie man es sieht und nichts zu beschönigen, erklärt Schatz. Dies gelte beispielsweise auch für störende Straßenschilder oder Autos. „Das Interessante daran ist, dass das Gezeichnete trotzdem toll aussieht.“ Die Bilder müssen nicht perfekt sein. Im Gegenteil: Das Unkomplizierte, Unperfekte mache die Bilder so einzigartig.

Man gehe mit anderen Augen durch die Welt, der Blick schärfe sich und man nehme seine Umwelt intensiver wahr. Schatz vergleicht ihr Skizzenbuch deshalb gern mit einem gezeichneten Tagebuch. Jedes ihrer Werke ist mit einem Datum versehen und beim Durchblättern erinnert sie sich an all jene besonderen Momente, Eindrücke und Gefühle, die sie an den jeweiligen Orten erlebte.

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