Zwei junge Bergsteiger aus Rosenheim und Bad Aibling gehen mit dem Deutschen Alpenverein auf große Expedition. Dafür legen sie in den kommenden Jahren im DAV Expeditionskader den Grundstein.

„Ich kletter‘ eigentlich gar nicht so gut“, sagt Florian Frank, als wir uns in der Kletterhalle Rosenheim treffen und noch auf Jonas warten, der dort seinem Job als Routenschrauber nachgeht. „Nicht so gut“ heißt bei ihm: Er klettert eine Neun (UIAA). Zum Vergleich: Einsteiger beginnen bei drei, vier oder fünf, die drei schwierigsten Kletterrouten der Welt liegen im zwölften Schwierigkeitsgrad. Eine Neun zu klettern ist also sehr wohl gut. Nicht nur für Unbedarfte. Aber Florian ist sowieso nicht so einfach zufrieden, sagt er, während Jonas Fertig zu unserem Gespräch ins Bistro stößt.

Für den ehemaligen Wettkampfkletterer gilt als ein Highlight seiner Bergsportkarriere das „Flashen“ einer Route im Alpinstil im zehnten Schwierigkeitsgrad. Eine Route zu „Flashen“ bedeutet, sie auf Anhieb durchsteigen zu können. Ohne Sturz, ohne neu anzusetzen. (Ich flashe höchstens eine Tüte Linsenchips, denke ich neidvoll.)

Beide sind seit November fester Bestandteil des aktuellen DAV Expedkaders 2023 bis 2025. Seit April liegen mehrere Wochen Lehrgänge, Kurse und Touren hinter ihnen, bis 2025 zur Abschlussexpedition kommen noch viele weitere dazu. Jonas ist Mitglied in der DAV Sektion Rosenheim, studiert in Innsbruck Geographie und schraubt wie bereits erwähnt in der Kletter- und Boulderhalle Rosenheim Routen und „Probleme“ für ambitionierte und nicht so ambitionierte Kletter*innen und Boulder*innen. Florian studiert in München Mathe und Physik auf Lehramt und ist Mitglied der Sektion Bad Aibling des DAV. Beide sind 22 Jahre alt und haben schon mehr von den Alpen gesehen als die meisten anderen (nicht nur) Gleichaltrigen.

Der Expedkader – Vorreiter beim Thema Ausbildung

Der Expeditionskader des DAV (kurz Expedkader) wurde im Jahr 2000 zur Förderung des Leistungsbergsteigens ins Leben gerufen und gilt als Vorreiter im deutschsprachigen Raum. Der Expedkader widmet sich der gewissenhaften Ausbildung talentierter junger Bergsteiger*innen. In den Lehrgängen werden Techniken und Wissen vermittelt wie behelfsmäßige Bergrettung in der Seilschaft, Steigeisen- und Pickeltechnik, objektive Risikobewertung, Rückzug im Eis und vieles mehr.

Jonas beim Checken der Seile und Verankerungen am Dolomitenfels. Ziel ist es hier, eine Mehrsseillänge sicher zu klettern.
Das richtige Seilhandling ist bei Mehrseillängen essenziell. Jonas checkt nochmal das Material am Dolomitenfels.
Fotos: DAV/Philipp Abels

Die Ausbildung geht über rund drei Jahre und gipfelt in einer Abschlussexpedition. Für den letzten Männerkader und auch für den der Frauen ging es nach Grönland. „Da werden wir vermutlich nicht hinfahren“, sagen Jonas und Florian. Sie hoffen auf eine Tour im Himalaya. „So eine Erstbegehung einer Route im Alpinstil mit Bergsteigen und Klettern wäre schon wahnsinnig cool.“ Jonas kommt ins Schwärmen. „Mal versuchen, auf 6.000 Metern Höhe wirklich schwer frei zu klettern. Schauen, ob man eine Zehn hochkommt, wenn die Bedingungen ganz anders sind mit der Kälte und der dünneren Luft.“ Ohne Handschuhe versteht sich. „Aber mit Sonne geht das schon.“

Der Läufer und der Kraxler

Beide haben sehr unterschiedliche Hintergründe im Bergsteigen. Florian zum Beispiel erzählt, wie er zwar als Kind schon mit den Eltern hin und wieder ein paar einfachere Bergtouren mit leichten Klettereien unternommen hat, dann aber zur Leichtathletik fand. Daraus hat sich bei ihm eine Leidenschaft fürs Berglaufen entwickelt. Vor rund viereinhalb Jahren begann er zusätzlich mit dem Klettern.

Florian Frank beim Klettern am Fels
Ordentlich „Luft unterm Hintern“ hat Florian hier beim Klettern.
Fotos: Privat

Halle und Fels kamen fast parallel. Alle, die schon mal beides beim Klettern ausprobiert haben, wissen, wie unterschiedlich sich beides verhält. Florian und Jonas finden übereinstimmen die Kraxelei im Fels besser als in der Halle. „Ist aber bei fast allen so“, sagen sie. (Naja, fast.) Jonas klettert, seit er sechs oder sieben Jahre alt ist. So genau weiß er das verständlicherweise nicht mehr. Er wurde dann auch Mitglied im Rock&Bloc-Team der DAV Sektion Rosenheim, das talentierten Kindern und Jugendlichen „die Möglichkeit einer regelmäßigen Teilnahme an einem leistungsorientierten Klettertraining“ bietet.

Ambitionierte Frauen in den Bergen: Großglockner-Tour: So geht’s zum Gipfel

Es schlossen sich Wettkämpfe und sogar der Bayernkader an. Doch dann schlug das Älterwerden zu, andere Interessen und vor allem weniger Lust, jedes Wochenenden an Wettkämpfen teilzunehmen und durch ganz Deutschland zu fahren. Immerhin, mit dem Klettern hat er nicht aufgehört. Mit 15 oder 16 kam das Alpinklettern dazu, mit 17 dann Eisklettern. Das sei „gruslig geil“, sagt Jonas. Mit dem Wissen von heute würde er aber einige Dinge so nicht mehr machen. „Man lernt, das Risiko besser einzuschätzen. Ein Sturz ist am Eis einfach nicht drin.“

Jonas an einer steilen Kletterwand im Mont-Blacn-Gebiet, wo er ganz entspannt auf einer ganz kleinen Kante steht.
Auch im Mont Blanc-Gebiet war Jonas schon unterwegs. Lässig auf kleinen Kanten stehend.
Fotos: privat

Per Bewerbung zum DAV Expedkader

Die Reise im Expeditionskader fing für beide mit einer klassischen Bewerbung an. Flori: „Ich hab‘ die Ausschreibung auf der Seite vom DAV gesehen, mir erste Infos geholt und dann halt die Bewerbung abgeschickt.“ Tourenberichte und Auflistung von Erfahrung in den verschiedenen Disziplinen und ein Motivationsschreiben. Und warum das Ganze? „Ich wollte mich im Bergsteigen weiterentwickeln; andere bergaffine Leute kennenlernen und wenn man ehrlich ist: Die ganzen Kurse, die Ausbildung, die wir erhalten – die könnte man sich als Studierender anders gar nicht leisten.“

Letztlich wurden 15 Bewerber zum Sichtungscamp in Sonthofen im Allgäu eingeladen. Bei „maximal schlechtem Wetter“ wurden die Aspiranten in den Bereichen Sportklettern (im Gegensatz zum Alpinklettern quasi nur eine Seillänge nach oben), Berglauf und auf zwei alpinen Touren unter die Lupe genommen. Zwölf von ihnen schafften es nach der ersten Runde in den so genannten erweiterten Kader. Es folgte ein Lehrgang in der Pfalz, bei dem behelfsmäßige Bergrettung in der Seilschaft und ein Erste-Hilfe-Kurs auf dem Plan standen.

DAV goes Chamonix: Die erste Expedkader-Tour

Der nächste große Stopp der „Tour de DAV“ war dann in Chamonix. „Das war landschaftlich echt beeindruckend“, sagt Florian – auch wenn das Wetter schon wieder nicht mitspielte. Trotzdem konnten sie erneut vieles lernen, diesmal vor allem zu den Themen Hochtouren und Touren im Eis. Die großen Touren, die eigentlich geplant waren, gingen sich leider nicht aus; vermaledeites Wetter! Schnee, um genau zu sein. Die Lawinengefahr war zu groß und manche Felsklettertouren wären um ein vielfaches schwieriger oder nahezu unmachbar gewesen, erzählt Jonas. Für ihn ging es etwas weiter nach Süden, weg vom Mont Blanc, hin zum Gran Paradiso-Massiv. Mit seiner Seilschaft eroberte er in einer Gratüberschreitung über den Piccolo den Gran Paradiso, natürlich mit einem kleinen Abstecher an eine Eiswand und einer „kleinen Kletterei“. Hinunter ging‘s über den Normalweg.

Bei Flori war das noch ein bisschen spannender: Bei seiner Stippvisite der Petites Jorasses wäre der Abstieg ebenfalls über den Normalweg angepeilt gewesen, aber der war aufgrund der zu warmen Temperaturen stark lawinengefährdet. Was macht man also, wenn man Teilnehmer im DAV Expedkader ist? Man seilt sich eine ganze Wand ab. Hilft ja nix.

Flori beim Klettern in einer Wand, vermutlich handelt es sich um eine Mehrseillänge.
Aller Liebe zum Laufen zum Trotz ist das Alpine Mehrseillängenklettern mittlerweile auch Flori- ans Lieblingsdisziplin im Bergsport. „Man muss ja auch zusteigen, das passt schon.“
Fotos: privat

In den Dolomiten, dem bislang letzten Halt auf der Ausbildungsreise, ging es dann an die Vertiefung der Kenntnisse im Mehrseillängenklettern: Standplatzbau, Seilhandling, Sanduhrenfädeln und mehr bei perfektem Wetter. Als nächstes folgen die sogenannten Big Walls (sehr hohe Wände, die normalerweise nicht an einem Tag begangen werden können), Winterbergsteigen, Eis- und Mixed-Klettern.

Lieber bürgerliche Jobs als hauptberuflich Abenteurer

Als Bergführer wollen beide aktuell nicht arbeiten. „Ich glaube, ich habe einen ganz guten Weg vor mir mit meinem Studium“, sagt Florian. Und nebenbei? „Das auch eher nicht, da macht man den hauptberuflichen Bergführern das Geschäft echt kaputt.“ Auch für Jonas ist das aktuell keine Option. „Ich hätte Angst, dass ich irgendwann zu viel davon und entsprechend keine Lust mehr auf die Berge habe.“ Expeditionen mit Sponsorenfinanzierung kann er sich aber durchaus vorstellen.

Jonas hat bereits ein paar Erstbegehungen hinter sich und Kletterrouten auch am Fels erschlossen und eingebohrt. „Darauf ist man schon immer wahnsinnig stolz.“ Dieses Gefühl kommt bei Florian selten auf. „Es ist immer super, wenn man eine Tour auch so durchziehen kann, wie man sie sich vorgenommen hat. Aber ich bin selten euphorisch.“

Für beide steht jetzt erst einmal die weitere Ausbildung im Kader im Vordergrund. Sicherheit gewinnen und auch so gut es geht garantieren zu können – ein Restrisiko allerdings bleibt immer bestehen. „Wir wollen das in 40 oder 50 Jahren immer noch machen und nicht in den nächsten zehn verunglücken. Davon hat niemand etwas.“ Begleiten kann man Jonas und Florian auf ihren instagram-Accounts und über die Accounts des DAV Expedkaders.