Harald Mielkes Leben gleicht einem Kaleidoskop aus Reisen, Bildern und Begegnungen. Zu Besuch bei Bayerns unangefochtenem Meister der Multivisions-Shows.
Bei meiner Ankunft im Örtchen Sachsenried im Landkreis Weilheim-Schongau schäumt Harald Mielke gerade ein Auto ein, das die Herzen von Oldtimer-Fans wahrscheinlich höher schlagen ließe. Knallgelb blitzt das flunderflache Geschoss im Licht der spätnovemberlichen Mittagssonne. Unbedarft wie ich bin, muss ich mich erkundigen, welches Modell er da mit dem Schwamm liebkost. „Ein VW Porsche 914er“, klärt mich Mielke auf, der dieses Jahr seinen 50. gefeiert hat – also die Karre, nicht der Kerl. Der ist nur unwesentlich älter, trägt an diesem Tag eine graue Hose, in der ein ausgebleichtes Jeanshemd steckt, und zeigt mir stolz die anderen historischen „Spielzeuge“, mit denen sich der Porsche Tisch und Bett, soll heißen, die Garage teilen darf.

Apropos Garage: Warum, bitteschön, ist die gefliest? Obendrein mit richtig tollen, dicken, alten Fliesen? Weil, erklärt Mielke schelmisch grinsend, dieser Ort dereinst eine Dependance des Ersten Bayerischen Butterwerks gewesen sei, einer Genossenschaft aus weit über tausend Milchbauern aus den Landkreisen Weilheim-Schongau, Landsberg und Ostallgäu. Wo heute Mielkes Oldtimer parken, landeten bis in die späten 80er Jahre die Milchlaster an. In der Kühlkammer hingen Schweinehälften von der Decke. „Sehr rustikal das Ganze“, sagt Mielke. Seine eigene „Anlandung“ hat sich deutlich komplizierter gestaltet, wie ich beim gemeinsamen Mittagessen erfahre, das seine Lebensgefährtin Carmen liebenswürdigerweise oben in der Küche kredenzt.
In den Räumlichkeiten über der einstigen Käsküche hat wohl mal ein Käsermeister mehr gehaust als wirklich gewohnt. Die zugigen Zimmer wurden über winzige Ölöfen beheizt, die der Käser mit einer kleinen, metallenen Kanne befüllen musste. Strom, Warmwasser? Fehlanzeige. „Fünf Jahre hat die Kernsanierung gedauert“, sagt Mielke, „dann war die Wohnung fertig und die damalige Beziehung gleich mit.“ Humor hat er, der Pfaffenwinkler, der sein selbst erschaffenes Domizil dann gar nicht bezog, sondern lieber mal hier, mal dort im ganzen Gau zur Miete wohnte. Nur für seine Büroarbeiten tuckerte er nach Sachsenried, und zum Blumengießen. Gut 20 Jahre hat er das so betrieben, bevor ihm Carmen zumindest diese Flause aus dem graumelierten Kopf trieb. „Sie hat mich zur Besinnung gebracht“, sagt Mielke und zwinkert seiner Liebsten zu.
Geboren in Füssen, hat Mielke eine kuriose Glanzleistung vollbracht: Obwohl er quasi die ganze Welt bereist hat, sei er nie so richtig aus dem Allgäu herausgekommen – zumindest, was den Lebensmittelpunkt betrifft. Der Vater, „ein Preiß“, sei ein Fallschirmspringer gewesen und als solcher nach Altenstadt gekommen, in jenen Garnisonsort nahe Schongau, in der die Bundeswehr seit 1956 eine Ausbildungsstätte für Fallschirmjäger und Transportflieger betreibt. Das Verhältnis scheint ein zwiespältiges gewesen zu sein, der „Abnabelungsprozess“, wie Mielke den buchstäblich herbeikomplementierten Auszug aus „Hotel Mama“ bezeichnet, eher nüchterner Natur. Immerhin, ein guter Freund des Vaters darf sich als Mielkes erster Tauchlehrer bezeichnen. Diese Lehre geht, wie so vieles in Mielkes Leben, eher unkonventionell vonstatten. Auch ein Fallschirmspringer, wie Mielkes Vater, habe der Nachbar schon in den 1960er Jahren das Tauchen als Hobby für sich entdeckt. Ein damals im tiefsten Bayern eher exotisches Hobby – obwohl man, erinnert sich Mielke, zu jener Zeit noch in den oberbayerischen Seen habe tauchen dürfen!
Fragt man Taucher und Unterwasserfilmer nach ihren Vorbildern, nennen die meisten zwei Namen: Entweder Hans Hass, den österreichischen Zoologen und Meeresforscher, der als Pionier des Dokumentarfilms unter Wasser gilt, oder natürlich Jacques-Yves Cousteau, den Tiefseeforscher mit der roten Mütze. „Meine Inspiration war Erhard, der Kamerad von meinem Vater“, sagt Mielke. 1979 habe der begonnen, dem jungen Harald das Tauchen beizubringen – im Schongauer Hallenbad. „Da sind wir die 1,50 Meter zum Beckenboden runtergetaucht und haben uns halt eine Zeit lang gegenseitig beim Nichtstun zugeschaut.“
Das Blöde: Mit Nichtstun verdient man kein Geld. Deshalb bleibt das Tauchen zunächst ein Hobby. Genau wie die Fotografie, die Mielke gemeinsam mit Gleichgesinnten aus der Gegend im Rahmen eines informellen „Foto-Clubs“ betreibt. Der selbsternannte Rädelsführer jenes fotophilen Freundeskreises weckt irgendwann unwillentlich Mielkes Ehrgeiz, die „Knipserei“ zur Profession zu erheben. Dass seine Bilder nichts taugen, habe der ihm einbläuen wollen. „Das werden wir schon sehen“, dachte sich Mielke nur und schritt zur Tat. Zu der Zeit, so Mitte der 1980er Jahre, unternahm Mielke schon die ersten seiner Erkundungsreisen. Markenzeichen: die Länder abseits ausgelatschter Touristenpfade auf eigene Faust erkunden. Ägypten beäugte er also nicht von einem Nilkreuzfahrtschiff herunter, auch die Pyramiden waren ihm lediglich eine Stippvisite wert. Stattdessen nahm er sich nach der Landung in Kairo den winzigsten (weil günstigsten) Mietwagen und klapperte die unerschlossenen Gegenden ab. „In dem Wägelchen sind wir sogar durch die Sahara gebraust.“ Mielke findet die entstandenen Fotos auch heute noch ansprechend, „unser Oberindianer fand sie scheiße.“ Nun, nach jenem Herren kräht heute kein Hahn mehr. Mielke hingegen sollte in den kommenden Jahrzehnten weit über 80 Länder bereisen – für Foto- und Reportageaufträge von überregionalen Tageszeitungen, Reise- und Lifestylemagazinen, Reisehandbüchern und Katalogproduktionen – sowie seit 1989 auch in eigener Sache. Aus dem mitgebrachten Material macht er Dia-Shows, die er seither an unzähligen Volkshochschulen in ganz Südbayern präsentiert. Er schätzt, dass er inzwischen locker auf 1.500 Vorträge kommt. Äthiopien, Papua-Neuguinea, Namibia, die Azoren: „Bei manchen Ländern hätten andere wahrscheinlich Schweißausbrüche bekommen“, sagt der unerschrockene Entdecker.
Harald Mielke ist lieber mittendrin statt nur dabei
Länder, die touristisch noch nicht erschlossen waren oder in denen kurz darauf Kriege ausbrachen, bannt er auf Bilder. Den Libanon zum Beispiel, oder den Jemen. Während Mielke mir aus einer Thermokanne Kaffee einschenkt (sein „Lebenselixier“), schwärmt er von den Monumentalbauten aus Holz und Lehm, die der Stadt Shibam den Spitznamen „Manhattan der Wüste“ einbrachten. Bis zu acht Stockwerke ragen sie in den Himmel. „Den Vortrag brauch ich im Grunde seit 20 Jahren nicht mehr halten, da kann eh niemand mehr hin“, sagt er, mit großem Bedauern in der Stimme. Trotzdem: Er war dort, und und die Fotos sind ja zumindest vielfach veröffentlicht worden. Aufbewahrt werden die Dias übrigens in einem kühlen Raum, der Mielkes spektakuläres „Naturbildarchiv“ beherbergt. Mehrere Regale voller akribisch beschrifteter Diakästen. Über 140.000 Motive!
Man merkt ihm die Freude schon an, als er mich in den angrenzenden Raum führt. Hier reihen und stapeln sich die gesammelten Werke, in denen Fotos von ihm abgedruckt wurden, darunter so ziemlich jeder deutschsprachige Reisehandbuchverlag, Kataloge aller Reiseveranstalter, Reisemagazine und alle Tauchermagazine. Das älteste europäische Tauchreisemagazin AQUANAUT darf er nach langen Jahren als Chefredakteur zwischenzeitlich sein Eigen nennen. Absehbar war dieser Erfolg hinter der Kamera in dieser Form sicher nicht. Mielkes erste Berufung war eher wissenschaftlicher Natur: Als Diplom-Biologe fertigte er für Straßenbau- und Wasserwirtschaftsämter biologische Kartierungen, Umweltverträglichkeitsstudien, landespflegerische Begleitplanungen und Luftbildauswertungen. Den dreispurigen Ausbau der A8 von Augsburg bis Salzburg zum Beispiel, den hat er begleitet. Problem: Das Consulting-Unternehmen gehörte dem Schwiegervater in spe, also dem Vater jener Frau, die ihm nach dieser langwierigen Wohnungsrestaurierung den Laufpass gab. „Da musste ich mich halt ein bisschen neu orientieren“, sagt Mielke, auf seine trockenhumorige Art. Hat sich ja alles zum Guten gewendet – zumindest zunächst.
Zu einem bewegten Leben gehören auch dunkle Seiten. Als Mielke von dieser Episode erzählt, hat er buchstäblich daran zu kauen. Man siehts an den mahlenden Wangen, wie sehr ihn das immer noch bewegt. Am 09.09. 2009 heiratet er. Auf der Zugspitze, na klar, das Thema „unkonventionell“ hatten wir ja schon. „Käferlein“ nennt er seine Ehefrau Trudy liebevoll, und sie ihn Katerle. Gemeinsam streunen sie durch die Weltgeschichte, bis Trudy zunehmend mit schwerwiegenden gesundheitlichen Herausforderungen zu kämpfen hat. Kopf und Körper bauen stetig und rapide ab. Mielke pflegt seine Frau, nimmt sie weiterhin mit auf Reisen, versucht, ihr das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Am Ende lässt sich gar nicht mehr sagen, wie viel sie noch bewusst von ihrer Umgebung mitbekommt. Am 1. April im Jahr 2015, dem Geburtstag ihres aus erster Ehe mitgebrachten Sohnes, verstirbt sie in Mielkes Armen. „Obwohl man weiß, dass es unweigerlich passieren wird, kann man sich auf sowas nicht vorbereiten“, sagt er und schluckt. Wie er umging mit der Trauer? „Ich habe mich in die Arbeit gestürzt.“ Er widmet sich von früh bis spät seinem Magazin, merkt gar nicht, dass er sich im Grunde völlig abwendet von dieser Welt, die er doch eigentlich so liebt. Carmen holt ihn schließlich heraus aus diesem Loch. Als Reiseveranstalterin bindet sie Mielke in Projekte ein, die beiden kommen sich näher, und irgendwann merkt er: So gehts nicht weiter! Er sagt sich: „Das Leben ist kurz. Mach das Beste aus deiner Zeit. Sei froh und dankbar, dass du noch hier sein darfst, dass du geliebt wirst. Mach die Augen auf und genieße!“ 2022 haben Harald und Carmen das Haus in Sachsenried bezogen. Gemeinsam haben sie einen gemütlichen Ort der Ruhe und Inspiration geschaffen. Am Küchentisch planen sie Reisen und touristische Projekte, als CMAS-Fotoinstruktor schult Mielke angehende Unterwasserfotografen, in der Freizeit schraubt er unten, in der Garage, an seinen Oldtimern herum. Er hat seinen Frieden gefunden. Vielleicht handelt sein neuester Vortrag deshalb von einer Gegend, für die er erstmals nicht in die Ferne reisen musste: „Unterwegs im Voralpenland“ heißt er und soll zeigen, wo unsere Heimat am schönsten ist.